© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Brüchiges Bündnis
Nato-Gipfel: Die Verteidigungsausgaben vieler Mitglieder entsprechen nicht dem vereinbarten Zwei-Prozent-Ziel / US-Präsident Trump verschickt „blaue Briefe“
Christian Schreiber

Gipfeltreffen der Nato-Staaten hatten in der Vergangenheit stets etwas Konstruiertes an sich. Im Vorfeld wurden die Zusammenkünfte medial ordentlich aufgebauscht, dann stritten die Teilnehmer ein wenig, um am Ende doch einträchtig wie auf einem Familienfoto in die Kamera zu lächeln.

Das dürfte diesmal anders sein: Denn vor der Zusammenkunft der 29 Staats- und Regierungschefs des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses am 10. und 11. Juli in Brüssel mehren sich die Hinweise, die auf ein ungemütliches Treffen hindeuten. EU-Verteidigungspolitiker machen dafür den US-Präsidenten Donald Trump verantwortlich. So erklärte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), sie gebe sich keinen Illusionen hin, daß Trump  mühsam ausgehandelte Kompromisse jederzeit wieder über Bord werfen könnte.

Doch der US-Präsident hat aus seiner Sicht gute Gründe dafür. Trump hatte die europäischen Natoländer in der Vergangenheit mehrfach aufgefordert, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Die betreffenden Staaten stimmten zwar zu, an der Umsetzung jedoch hapert es. Zur Untermauerung seiner Forderung ließ Trump deshalb in der vergangenen Woche acht Nato-Ländern (Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien, Spanien, Portugal, Luxemburg und Norwegen) einen „blauen Brief“ zukommen.

Sinngemäßer Inhalt: Ihr habt das 2014 in Wales vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel bislang verfehlt. Haltet euch daran, die Zielmarke bis 2024 zu schaffen. Zumindest der US-Verteidigungsminister James Mattis sorgte für eine verbale Abrüstung. „Die Nato hat bei der Lastenteilung in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht“, lobte er. 

Abzug von US-Soldaten als Druckmittel?

Für Unbehagen bei den europäischen Nato-Mitgliedern sorgte derweil die von der Washinton Post kolportierte Absicht, Trump plane den Abzug der rund 33.000 in der Bundesrepublik stationierten US-Soldaten. Die Kosten für die USA wären in Polen entschieden geringer als an den verschiedenen Militärstützpunkten in Deutschland, heißt es in dem Bericht, den Experten als weiteren Versuch werten, den Druck auf Berlin zu erhöhen, die Verteidigungsausgaben zu steigern. Wa-

shington dementierte den Zeitungsbericht umgehend, festzuhalten aber bleibt: Das Verhältnis zwischen den USA und der Nato ist weiterhin schwer belastet.

Zumal sich Trump nur wenige Tage nach dem Nato-Gipfel in Helsinki mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin treffen will. Laut Medienberichten könnte der US-Präsident dabei sogar die von der Nato als völkerrechtswidrig eingestufte Annexion der Krim anerkennen. Der 72jährige hatte bei Zusammenkünften der Staats- und Regierungschefs wiederholt gefordert, man möge Putin zurück an den Verhandlungstisch holen. Eine Meinung, die sich nicht mit der seines Verteidigungsministers deckt. „Putin versucht, die Nato zu zerschlagen“, hatte Mattis erst Mitte Juni erklärt.

Es erscheint allerdings fraglich, wie lange der Minister die Positionen noch offensiv vertreten kann. Mattis gilt als einer der letzten verbliebenen Nato-Befürworter im amerikanischen Machtzirkel. Andere Regierungsvertreter dagegen teilen die Ansichten des Präsidenten. Der setzt künftig wohl mehr auf „Deals unter Männern“, wie er ankündigte. Insofern könnte das Treffen mit Putin die Eskalation mit den Nato-Partnern auf die Spitze treiben.