© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Hohe Erwartungen ins Gegenteil verkehrt
Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft: Warum Joachim Starbatty seine Rüstow-Plakette zurückgibt und den Verein verläßt
Henning Lindhoff

Dreiunddreißig Jahre lang war Joachim Starbatty im Vorstand, von 1991 bis 2014 der Vorsitzende. Doch am 27. Juni wollte der Ökonom und Europaabgeordnete nicht mehr: „Ich werde die mir im Jahre 2003 verliehene Alexander-Rüstow-Plakette („Dem mutigen Streiter für die Soziale Marktwirtschaft“) zurückgeben und zugleich aus der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM) ausscheiden“, erklärte der 78jährige in einem offenen Brief an seinen Nachfolger an der ASM-Spitze, den Siegener Ökonomieprofessor Nils Goldschmidt. „Du warst mein Wunschkandidat als Nachfolger. Leider haben sich meine in Dich gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, sondern ins Gegenteil verkehrt.“

„Türöffner für eine illegale Einwanderung“

Was war passiert? Am 15. Juni hatte Starbatty in Weimar die Hayek-Medaille verliehen bekommen (JF 26/18). Am selben Tag überreichte Goldschmidt Angela Merkel im Bundeskanzleramt die Alexander-Rüstow-Plakette. Benannt nach einem der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, wurde die Ehrung seit 1964 Persönlichkeiten zuteil, die sich „um die Stärkung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft verdient gemacht haben“: Von Ludwig Erhard über Bundesbankpräsident Karl Blessing, den Ökonomen Franz Böhm, SPD-Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller, die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann oder die FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff bis hin zu Kurt Biedenkopf (CDU) und Reinhard Kardinal Marx.

Mit der diesjährigen Preisträgerin Angela Merkel möchte Starbatty aber „nicht in einem Atemzug genannt werden“. Er wüßte „keine einzige Entscheidung der Kanzlerin zu nennen, die den Kriterien für die Verleihung der Plaketten entsprochen hätte“. In ihrer Energie-, Europa- und Flüchtlingspolitik könne er keine Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft erkennen, so Starbatty in seinem Abschiedsbrief an Goldschmidt. Vielmehr habe Angela Merkel „den Boden der Demokratie“ verlassen, indem sie wichtige Entscheidungen „ohne Anhörung des Souveräns, der Bürger unseres Landes, und des Parlaments als Vertreter des Souveräns getroffen“ habe.

Den mit der Grenzöffnung 2015 verbundenen Rechtsbruch habe der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier präzise benannt: Das Asylrecht sei „als Türöffner für eine illegale Einwanderung“ zweckentfremdet worden – „von Personen, die kein Individualrecht auf Einwanderung haben“. Mit dieser Politik spaltet die Kanzlerin auch die EU.

Daß bei Preisverleihungen Kritisches geäußert wird, ist selten. Doch selbst Goldschmidts Laudatio bleibt „phänomenal vage“, wie Rainer Hank von der merkelfreundlichen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zugeben muß. Die Kanzlerin werde gewürdigt wegen ihrer „Verdienste zur Förderung einer weltoffenen, den Menschen zugewandten Marktwirtschaft und ihres Engagements für den Dialog in Europa“, so Goldschmidt. Zudem lobte er Angela Merkels „Entschlossenheit, auch in unsicheren Zeiten Demokratie und Wirtschaft als zusammengehörig zu denken und die Soziale Marktwirtschaft als einen fortwährenden und lebendigen Reformprozeß zu verstehen“ – das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hätte es nicht anders formuliert.

Auch Goldschmidts Antwort auf den Brief Starbattys war hingegen unmißverständlich und offenbarte den Richtungswechsel der ASM hin zu Schwarz-Grün: Starbatty habe sich „schon länger von den Zielen und Werten der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft entfernt.“ Dessen Stellungnahme entspringe „einer rechtskonservativen Weltsicht, deren Destruktivität sich in einer irrationalen und unverhältnismäßigen Kritik an der Bundeskanzlerin entlädt“. Dies widerspreche dem überparteilichen Selbstverständnis der Aktionsgemeinschaft. Goldschmidt hat dabei wohl Starbattys Engagement für die Alternative für Deutschland im Auge, in deren wissenschaftlichem Beirat dieser saß und für die er im Jahr 2014 auch ins Europaparlament einzog. Nur ein Jahr später folgte Starbatty dem Euro-kritischen Ökonomen und Ex-AfD-Chef Bernd Lucke und gründete mit ihm eine neue Partei, die seit 2016 Liberal-Konservative Reformer (LKR) heißt.

Auch jenseits des politischen Parketts ist Starbatty seinem Nachfolger Goldschmidt wohl unangenehm aufgefallen: Im Mai bekannte sich Starbatty mit seiner Unterschrift unter der Ökumenischen Erklärung von Hochschullehrern und Professoren „zum Kreuz in der Öffentlichkeit“ (Kreuzerlass.de). „Für uns unverständlich ist die jetzt öffentlich zur Schau gestellte Solidarisierung einiger kirchlicher Stimmen oder Organisationen mit den Laizisten, die die Kreuze schon lange zumindest aus öffentlichen Gebäuden verbannen wollen. Eine solche Haltung grenzt an Selbstaufgabe“, heißt es darin – auch hier ist der Katholik Goldschmidt, der auch ein Theologiediplom besitzt, wohl anderer Meinung.

Und am 5. Mai trat Starbatty als Redner auf dem von Max Otte organisierten „Neuen Hambacher Fest“ (JF 20/18) als Redner auf: „Wenn die Politiker einer illusionären Europaidee nachlaufen, die Wissenschaft schweigt, müssen wir Bürger den Mund aufmachen und uns wehren.“ Eins scheint sicher: Joachim Starbatty wird auch in Zukunft nicht schweigen.

Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft:  www.asm-ev.de

Blog von Joachim Starbatty:  starbatty.com