© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Pankraz,
C. Hughes und die Vielfalt als Rassist

Ein blindes Huhn findet manchmal auch ein Korn, sagt das Sprichwort. Gilt das auch für Küken? Im Londoner Spectator hat jetzt ein afro-amerikanischer Philosophiestudent namens Coleman Hughes (20) eine wilde Philippika gegen den Begriff der Vielfalt (engl. multiplicity) losgelassen. Es geht in dem Aufsatz um weiße, meist ältere Professoren, denen  junge Leute an den amerikanischen Universitäten zuhören müßten. Diese Professoren redeten dauernd von der „Vielfalt der Denkansätze“, die auch in aktuellen Debatten notwendig sei. Aber solche „Redereien“, wettert Hughes, seien nichts als verkappter Rassismus.

Zitat Coleman Hughes: „Befürworter der Vielfalt gehen nicht dorthin, wo sie am meisten gebraucht werden, sondern dorthin, wo sie am mächtigsten sind. Wenn amerikanische Institutionen weiterhin die falschen Götter der Vielfalt und Inklusion anbeten, dann werden wir  ‘Rasse’ nie vergessen können. In der Tat haben die Progressiven in den USA die Diskussion über Rasse gekapert, so daß selbst die Formulierung ‘ohne Ansehen der Rasse’ jetzt wie eine malerische Platitüde aus einer vergangenen Ära klingt – sogar für diejenigen, die wie ich glauben, daß es das einzig erstrebenswerte Ziel ist.“

 Und am Schluß der stürmischen Kükensuada folgendes: „Martin Luther King sprach von einem Traum, daß seine vier Kinder ‘eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden’. Dieser Traum rückt immer weiter weg, während die Agenda der Vielfalt die Rassendiskriminierung für das 21. Jahrhundert in Schwung bringt.“


Die Selbstverständlichkeit, mit der hier nicht etwa tief eingewurzelte Vorurteile oder schlimmster alltäglicher Egoismus, sondern ausgerechnet der Wille zur Vielfalt der Standpunkte im akademischen Diskurs ohne Ansehung von Rasse, Klasse oder  sonstwas  zum Hauptschuldigen erklärt wird, ist geradezu atemberaubend. Es läuft wieder einmal – wie in alten 68er-Zeiten  – auf die gewaltsame Abschaffung von Universität und gediegenem Wissenserwerb hinaus, unartikuliertes Gebrüll statt bedachsame Suche nach dem richtigen Wort, geballte Faust statt gelassene Gehirnarbeit.

Pankraz fragt sich, was die Redaktion von The Spectator veranlaßt haben mag, den Beitrag von Hughes so groß herauszustellen. An sich handelt es sich bei ihr doch, nach eigener Verlautbarung, um ein anspruchsvolles „Wochenblatt für Politik und Kultur“, das schon seit 1828 auf dem Markt ist und damit den Anspruch erheben kann, die älteste Zeitschrift in englischer Sprache zu sein. Es war über all die vielen Jahre hinweg immer ein Referenzblatt konservativ gestimmter Intellektueller, die die Weltläufte klug und oft mit ausgesprochen bissigem Tonfall begleiteten.

Indes, keine Spur von kluger Bissigkeit in dem Beitrag von Hughes, nur zeitgeistkonformes, zur Zensur aufforderndes Gezeter. Wollte die Zeitschrift damit demonstrieren, wie vielfältig sie selbst ist, indem sie an prominenter Stelle einen Beitrag zum Thema „geistige Vielfalt“ veröffentlicht, in dem zur Abschafung derselben aufgerufen wird? Das wäre dann etwa so, als würde ein fettes Schwein laut in die Landschaft hineingrunzen, man solle es doch endlich schlachten, damit unwiderlegbar bewiesen werde, daß das Schweineschlachten überall verboten und abgeschafft gehöre.

Geistige Vielfalt ist ein Zustand, der nie und nimmer abgeschafft gehört. Er ist ohnehin selten genug, stellt sich  – günstige gesellschaftliche Gesamtverhältnisse vorausgesetzt – nur unter privilegierten Bedingungen her, beispielsweise im akademischen Diskurs.

Anderswo ist die peremptorische, also die Vielfalt einschränkende, ja ausschließende Kraft des Sprechens immer in der Vorhand. Man einigt sich spontan auf ein begrenztes Ausdrucks- und Wortarsenal, das zur Verständigung in einer bestimmten Situation als optimal empfunden wird und Neologismen nur zuläßt, wenn es unbedingt notwendig ist.


Besonders für die Politik gilt das. Dort regiert in der Regel ein Vokabular, das streng einzuhalten für die jeweiligen Parteigänger geradezu überlebensnotwendig ist. Wer es ignoriert oder auch nur lässig behandelt, outet sich allzu leicht als Meinungsgegner oder vielleicht sogar als Wolf im Schafspelz, als heimlicher Widersacher der jeweiligen Nummer eins, und wird aus der innerparteilichen Kommunikation ausgeschlossen. Einfalt geht vor Vielfalt – das ist das (offene) Geheimnis jeglicher erfolgreicher Machtpolitik, unter welchen Bedingungen auch immer. 

Je unfreier, diktatorischer die Zustände in einem Land werden, um so mehr bemühen sich die herrschenden Kräfte, die öffentliche Sprache (und nicht nur diese) ihrer Vielfalt zu berauben, sie in Einfalt zu überführen. Verlage, Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen und sogenannte „soziale Medien“ im Internet, eben die Medienwelt insgesamt, sind davon betroffen. Auch der akademische Diskurs, seit der klassischen Antike an sich ein Hort der Vielfalt, der „Ataraxia“, nämlich der gelassenen Suche nach der von Egoismen unbehelligten Übereinstimmung von Sache und Wort, nach der Wahrheit, gerät in Gefahr. 

Die Attacke gegen die akademische Sorge um die Vielfalt im Spectator legt davon Zeugnis  ab.  Sie spiegelt nur allzu deutlich reale Entwicklungen an amerikanischen (und nicht nur amerikanischen) Elite-Universitäten ab, wo es immer öfter vorkommt, daß Vorlesungen oder Seminare, welche bedachtsam und von vielen möglichen Standpunkten aus aktuelle Probleme besprechen, von studentischen Zuhörergruppen meist afroamerkanischer Herkunft in gröbster Weise gestört, gewaltsam unterbrochen und die Dozenten beschimpft werden. Der hier vorgeführte „Vielfaltsquatsch“, so heißt es dazu, sei letztlich doch nur verkappter Rassismus.

„Man soll die Einfalt, sogar die Einfalt in Gott, nie übertreiben“, warnte einst Pascal in seinen Pensées, „alles ist eins – und alles ist Vielfalt! Wie viele Naturen in der des Menschen! Wie viele Hoffnungen!“