© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Greisenantlitz der Revolution
Kino: „Candelaria“ spielt im Kuba während des Zusammenbruchs des Ostblocks
Sebastian Hennig

Das Gesicht jeder fortgesetzten Revolution wird eines Tages greisenhaft. Das Verschwinden der sozialistischen Regimes in Europa war nicht zuletzt auch eine Folge personeller Ermüdung der alten Kämpfer. Die Erlebnisgeneration des Klassenkampfes war Ende der achtziger Jahre entweder weggestorben oder sie hatte sich überlebt. Als der wissenschaftlich prognostizierte Kommunismus nicht eintreten wollte, wich die in den Jahrzehnten zuvor nach außen errungene Selbstsicherheit im Inneren einem ratlosen Lavieren. Verbissen stemmte man sich noch ein letztes Mal gegen den natürlichen Verschleiß der Hoffnung, bevor das System beinahe lautlos in sich zusammenbrach.

Von diesem Umbruch in Europa wurde damals indirekt die vergleichsweise junge República de Cuba schwer getroffen. Nur der Tauschhandel kubanischer Erzeugnisse gegen russisches Erdöl hatte den karibischen Inselstaat gegen den amerikanischen Boykott erhalten. Folgerichtig brach mit dem Untergang der Sowjetunion und ihrer Vasallen eine ernste Versorgungskrise über das Land herein. Industrie und Transport kamen zum Erliegen. Nur die Gunst des Klimas und die Findigkeit der Kubaner konnten die totale Katastrophe abwenden. Die Lebensmittelknappheit eskalierte nicht zu Hungersnöten, und die Unterernährung konnte einigermaßen in Schach gehalten werden durch den Übergang einer vom Öl getriebenen industrialisierten Landwirtschaft hin zu kleinteiliger Bestellung. Die Bauernmärkte wurden wieder zugelassen und der Tourismus forciert.

Der Spielfilm „Candelaria“ nimmt diese Situation zum Hintergrund einer sehr persönlichen Geschichte um ein alt gewordenes Paar. So blickt uns das Kuba der frühen 1990er Jahre mit zwei hageren Gesichtern an, dem der 75jährigen Candelaria (Verónica Lynn) und ihres um ein Jahr älteren Mannes Victor Hugo (Alden Knigth). Die beiden Alten hausen in einer großzügigen Wohnung, die wohl noch aus der Kolonialzeit stammt. Die Wand schmückt inzwischen ein unregelmäßiges Fleckenmuster von abblätternden Farbanstrichen der verschiedensten Zeiten. Die Gunst des Klimas konserviert eine gemütliche Verlotterung. Unter der karibischen Sonne hat die Revolution ihre Kinder nicht gefressen. Aber sie kann ihnen auch nichts mehr zu essen geben.

Der Strom reicht gerade noch für die Küken

Candelaria zieht in der Wohnung heimlich und illegal eine kleine Geflügelbrut heran. Als die Küken naß werden, weil es durch das Dach des Hauses hineinregnet, werden sie von Candelaria hingebungsvoll trockengefönt. Dafür reicht der Strom gerade noch. Als sich die beiden zur Abendmahlzeit an den Tisch setzen wollen, wird es schlagartig finster. Beim flackernden Schein einer Notlampe vertreiben sie sich anschließend ihre Zeit mit Kartenspielen.

Die Paradoxien dieses Landes spiegeln sich in dem Film ohne Hohn und sozialistische Gesinnungsfolklore wider. Das Gesundheitswesen Kubas verfügt über ein dichtes Netz an Ärzten. Die beiden Alten bekommen von ihnen die Empfehlung, auf ausreichende Ernährung zu achten. Wer den Schaden hat, braucht also für den Spott nicht zu sorgen. Sorgen muß er sich vielmehr, wie er über die Runden kommt. Die Kükenzucht stellt schon einen ersten Schritt in die Illegalität dar.

Im Radio beklagt eine traurige Stimme die Blockade. Wie könne man nur ein Land bedrängen, das die meisten Ärzte pro Einwohner aufweist. Alles ist darauf gestimmt, lieber in Würde unterzugehen, als sich die Ehre abkaufen zu lassen gegen eine Linsensuppe.

Der Film erliegt nicht der naheliegenden Versuchung, die skurrilen Blüten in den Mittelpunkt zu rücken, die der Selbsterhaltungstrieb der Kubaner damals getrieben hat. Solche Facetten bleiben im Hintergrund und kommen nur dort zum Vorschein, wo sie die Geschichte von Candelaria und Victor notwendig betreffen. Deren gleichgültiges Dahinleben erhält eine Wendung, als Candelaria eine Umhängetasche mit einer Videokamera findet. Ohne weiter nachzudenken nimmt sie diese mit nach Hause.

Victor will ehrlich bleiben und besteht zunächst darauf, den Fund abzugeben. Doch dann kommt sein junger Freund (Manuel Viveros), dem er die in der Manufaktur entwendeten Zigarren verkauft und der erfolglos an einem Floß bastelt, mit dem er nach Florida übersetzen will. Er kann nicht verstehen, daß der Alte die Kamera nicht zu Geld machen will. Er zeigt ihm, wie sich das Gerät bedienen läßt und sagt ihm auch, wo er es zu Geld machen kann. Der Spieltrieb behält bei Victor die Oberhand sowohl gegen das Gewissen wie auch die Geldgier. Er filmt seine Frau, die sich unbeobachtet wähnt. In kindlichem Treiben erforschen sie die Tristesse ihres Alltags

Schließlich läßt sich Victor doch an den Hehler vermitteln, der von Philipp Hochmair in seiner Mischung aus spezifischem Geschäftssinn und allgemeiner Wachheit überzeugend verkörpert wird. Er interessiert sich mehr für die Aufnahmen als für das Gerät. Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza hat mit „Candelaria“ ein anrührendes Melodram über das Verhältnis eines Greisenpaares gedreht, ähnlich gut, aber anders als vor zehn Jahren hierzulande Andreas Dresen mit seinem Spielfilm „Wolke 9“ das Liebesleben der Alten in Szene setzte. Der Tod erhält auch hier seinen finalen Auftritt. Die letzten Videoaufnahmen zeigen die zu Hühnern herangewachsenen Küken und einen tieftraurigen alten Mann, der einsam auf dem Bett sitzt.