© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Auf üppige moralische Dividende spekulieren
Koloniales Museums-Erbe: Nicht die Exponate stehen im Blickpunkt, sondern die Schuld, sie zu besitzen
Wolfgang Müller

Wir haben eine Verantwortung für Afrika“, erklärte Angela Merkel auf dem diesjährigen Katholikentag am 11. Mai. „Nicht nur, weil wir sonst viele Flüchtlinge haben, sondern weil wir mit dem Kolonialismus über Jahrzehnte und Jahrhunderte dort viel Schaden angerichtet haben.“ Sie knüpfte damit an ihre Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar dieses Jahres an. Dort hatte sie von einer „tiefen Schuld gegenüber dem afrikanischen Kontinent aus den Zeiten der Kolonialisierung“ gesprochen.

Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio konfrontierte die Regierungschefin in der Haushaltsdebatte des Bundestages mit ihren Äußerungen zu Afrika und Kolonialismus. Die Bundeskanzlerin arbeite offensichtlich daran, moralisches Erpressungspotential anzuhäufen und den Deutschen eine „Schuld“ gegenüber Afrika einzureden, die dann mit der generösen Aufnahme von „Flüchtlingen“ und „Umsiedlern“ vom schwarzen Kontinent zu sühnen wäre.

Macron kündigte Rückgabeaktion an

Mit der Restautorität ihres Amtes beglaubigt, verstärkt Merkels Einlassung den Chor jener Kulturschaffenden, die im Rahmen der „Kritischen Weißseinsforschung“ schon lange die Dekonstruktion „eurozentrischen“ Bewußtseins vorantreiben. Das jüngste Anschwellen dieses Chores geht von der Diskussion über den Umgang mit den „kolonialen Kulturerbegütern“ in europäischen Museen aus. Ausgelöst hat den Lärm eine Rede, die Emmanuel Macron im November 2017 an der Universität Ouagadougou in Burkina Faso hielt. Darin kündigte Frankreichs Staatspräsident an, bis 2022 die Voraussetzungen für eine „endgültige Restitution des afrikanischen Erbes an Afrika“ schaffen zu wollen. Diese Rückgabeaktion begründete er nicht etwa mit der Kriminalgeschichte der eigenen Nation, deren Kolonialimperialismus fast 150 Jahre Nord- und Westafrika dominierte, sondern mit „den unbestreitbaren Verbrechen der europäischen Kolonisierung“.

Das war zwar eine plumpe Umverteilung der „Kolonialschuld“ Frankreichs zu Lasten ganz Europas, die man aber gerade in Berlin mit Entzücken quittierte, wo man im Dauerstreit über die Aufnahme ethnologischer Sammlungen ins nachgebaute Preußen-Schloß, das 2019 eröffnende Humboldt-Forum (HF), liegt. Zum einen, weil das stolze Frankreich sich im Unterschied zu Niederländern und Skandinaviern auf internationalen Sitzungen Ethnologischer Museen nie auf Rückgabe-Debatten eingelassen habe, wie die Berliner Ethnologin Viola König sich erinnert. Um so mehr freue sie sich jetzt über Macrons Kehrtwende. Die allerdings nicht nationaler Zerknirschung entsprang. Vielmehr will Macron mit diesem geschickten kulturpolitischen Schachzug bei den Afrikanern gut Wetter machen, um den wachsenden Einfluß Chinas in der Region einzudämmen.

Was die realpolitisch weniger begabten Deutschen gern ignorieren. Weil sie, und dies ist der andere Auslöser ihrer enthusiastischen Reaktionen, allein auf üppige moralische Dividende des Schulddiskurses um Rückgabe und „selbstkritische“ Präsentation der Objekte spekulieren. Die wird im Wiener „Weltmuseum“, das bis 2013 Museum für Völkerkunde hieß, bereits kassiert, wie Michael Wiesberg in seinem Essay über „Das Museum als volkspädagogische Anstalt“ berichtet (Sezession im Netz vom 31. Mai 2018). Steven Engelsman, dessen niederländischer Direktor, gestehe freimütig, er wolle mit seinen exotischen Objekten den (Un-)Geist der Selbstanklage möglichst früh fördern, mit Führungen für Schulklassen. Stetige museumsdidaktische Indoktrination bewirke Bewußtseinswandel hin zur Akzeptanz für das Fremde. Und für die Fremden, denn, so vermittelt Engelsman im wunderlichen Rückgriff auf das unter Linken eigentlich streng verpönte Denken in Natur-Kategorien: „Migration gehört zum Menschen wie Sonne und Regen zum Wetter.“

Daß Engelsman kein ideologisch verbohrter Außenseiter ist, belegt Wiesberg mit einem Zitat des Berliner Kunsthistorikers Horst Bredekamp, einem der drei HF-Gründungsintendanten. Er bringe die augenblickliche Stimmung exakt auf den Punkt, wenn er resümiert, nicht mehr die Wertschätzung der Exponate, sondern die hypostasierte Schuld, diese zu besitzen, stehe im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Für Wiesberg ist es daher nicht verwunderlich, wenn der linksliberale Berliner Tagesspiegel empfiehlt, die Wiener Museumskonzeption für das Humboldt-Forum zu übernehmen. Konsequent sieht der schwarzafrikanische Germanist Albert Gouaffo, der an der Universität Dschang in Kamerun lehrt, wie Engelsman und die monolithisch geschlossene Front bundesdeutscher Ethnologen, darin ein Werkzeug, das rassistische „Stereotype“ und „Überlegenheitskomplexe Europas“ aufbreche. Am besten vielleicht dadurch, daß „Europa als Volksgemeinschaft und Kultur“ in der Ecke eines Museums für Weltkultur selbst musealisiert werde.    

Gouaffo verbindet diese zweifelsfrei rassistische, „antiweiße“ Anregung in der Deutschen Universitäts-Zeitung, die dem Thema Rückgabe von außereuropäischen Kunstobjekten ein Schwerpunktheft widmet (5/2017), mit der Forderung nach einer Totalrestitution. Die einst kolonisierten Herkunftsgesellschaften müßten alles wiederbekommen. Im Prinzip stimmen ihm Viola König, bis 2017 Direktorin der für den Umzug ins Humboldt-Forum ausersehenen völkerkundlichen Sammlung in Berlin-Dahlem, und die Mainzer Ethnologin Carola Lentz zu.

Zeitgenössische Kunst könnte Lücken schließen

Mögliche Hindernisse,  etwa der fragile Zustand vieler Objekte, schlechte konservatorische Bedingungen in den Museen des globalen Südens, oder die Tatsache, daß viele afrikanische und altamerikanische Stämme als Herkunftsgesellschaften der Kunstgegenstände ausgestorben sind – von der indianischen „Zuni-Community“ New Mexikos lebten nur noch zwei alte Männer –, stören die Wissenschaftlerinnen nicht. Auf die Originale hätten die einstigen Kolonialvölker schlicht einen unbezweifelbaren Anspruch. Die im Humboldt-Forum dadurch aufgerissenen großen Lücken wären etwa durch Leihgaben zeitgenössischer Kunst aus Afrika oder Südamerika zu schließen.

Wer, ohne die geringste Herablassung gegenüber fremden Kulturen zu empfinden, die abendländische Hochkultur für den Gipfel der Menschheitsentwicklung hält, wem Rembrandt und Caspar David Friedrich, Dürer und Liebermann mehr zusagen als primitive Zeremonienmasken, wird das Equipment von Schlangenbeschwörern und Teufels-austreibern ohne Bedauern entbehren. Überdies schwände mit dem Abzug der Exponate automatisch „die hypostasierte Schuld, sie zu besitzen“. Und zumindest ethnologische Museen taugten dann mangels Masse weniger, um die intellektuelle „Erosion der Fundamente der eigenen Kultur“ (Michael Wiesberg) zu inspirieren.