© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Darum lieb ich alles, was so grün ist
Union: Einst waren sie sich in herzlicher Abneigung verbunden, nun scheinen Christdemokraten und Öko-Partei ziemlich beste Freunde zu werden
Jörg Kürschner

Man kann doch wohl dazulernen“, beschreibt Daniel Günther seinen politischen Findungsprozeß, der den bald 45jährigen vom einstigen CSU-Fan zum CDU-Mann der linken Mitte hat werden lassen. Dank dieser Metamorphose ist Günther in Schleswig-Holstein die Bildung einer Jamaika-Koalition gelungen, die ihn im vergangenen Sommer zum Regierungs-chef gewählt hat. Aufmerksam wurde registriert, daß die Nord-Grünen ohne große innerparteiliche Turbulenzen aus einer abgewählten Koalition mit der SPD und der dänischen Minderheitspartei SSW direkt in ein Bündnis mit der CDU gewechselt sind. Dieser Sprung vom einstigen „natürlichen“ Koalitionspartner SPD zum früheren Hauptgegner CDU hat mehrere Ursachen. Immer seltener reicht es aufgrund der teils massiven Stimmenverluste der SPD für das rot-grüne Lieblingsbündnis, das auf Bundesebene immerhin sieben Jahre (1998–2005) mit stabiler Mehrheit regiert hat. Eine Erfahrung, die die Grünen nicht nur in Kiel gemacht haben, sondern auch in anderen Ländern wie Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz. Die allmähliche Annäherung zwischen Grünen und CDU wäre aber nicht möglich gewesen ohne eine grundlegend veränderte Einstellung der CDU zur Ökopartei.

Der Weg der CDU zu den Grünen war lang und hindernisreich. Vor genau 40 Jahren, am 12. Juli 1978, trat der CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl aus seiner Partei aus und gründete die Grüne Aktion Zukunft (GAZ), die später in der Partei „Die Grünen“ aufging. Bekannt geworden war Gruhl bereits 1975 durch seinen Beststeller „Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik“. Der „Naturkonservative“ war in der CDU einer der wenigen Kernkraftkritiker, wurde in der Fraktion aber als Sonderling nicht ernst genommen. Später, in den neunziger Jahren, räumte CDU-Chef Helmut Kohl ein, „wir hätten den Gruhl nicht gehen lassen dürfen“.

Damals war bereits die „Pizza-Connection“ entstanden, ein Kreis junger CDU- und Grünen-Politiker, die sich beim Bonner Nobel-Italiener „Sassella“ regelmäßig zum Gedankenaustausch trafen. Norbert Röttgen gehörte auf seiten der CDU dazu, der spätere Bundesumweltminister und derzeitige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, sowie Peter Altmaier, Merkels Allzweckwaffe, seit März Bundeswirtschaftsminister. Für die Grünen war Ex-Parteichef Cem Özdemir dabei. Mitte der neunziger Jahre dachte niemand an schwarz-grüne Koalitionen. Es gab allenfalls langfristige Gedankenspiele. Bei den Nachwuchspolitikern der CDU hatte sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Grünen keine Eintagsfliege im Parteiensystem bleiben würden. 1983, Bundeskanzler Kohl war erst wenige Monate im Amt, waren die Grünen erstmals in den Bundestag eingezogen. Im Plenarsaal saßen CDU/CSU und Grüne nun Seit’ an Seit’, aus der gegenseitigen  Abneigung machte man kein Hehl. Manche in der Union hätten die Grünen am liebsten verbieten oder vom Verfassungsschutz beobachten lassen.

Kanzlerin hofierte die Grünen in Verhandlungen

Doch es kam bekanntlich anders. Nach der Bundestagswahl 1994 landeten CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble und Grünen-Urgestein Joschka Fischer einen Coup. Sie machten die im bürgerlichen Lager wohlgelittene evangelische Pastorin Antje Vollmer zur Bundestagsvizepräsidentin; auf Kosten der SPD. 

Die CDU veränderte sich, mag auch Parteichefin Angela Merkel das von den Grünen favorisierte Multikulti-Gesellschaftsmodell noch 2010 für gescheitert erklärt haben. Anders als ihr Vorgänger Kohl hat Merkel mit der FDP immer gefremdelt. 2008 war es in Hamburg bereits zur ersten schwarz-grünen Landesregierung gekommen, ein Jahr später zur ersten Jamaika-Koalition im Saarland. Treibende Kraft in der Hansestadt war der CDU-Politiker Ole von Beust, ein Vertreter der Generation nach Dauer-Parteichef und -Kanzler Kohl. Beust, ein bekennender Homosexueller, sah sich als Vertreter einer Reform-CDU, die nicht länger fixiert sein wollte auf den „geborenen Koalitionspartner FDP“. Trotz des raschen Scheiterns dieser Koalition nach etwas mehr als zwei Jahren unter seinem Nachfolger Christoph Ahlhaus (CDU) öffnete sich ausgerechnet in Hessen der sich als „konservativer Kampfverband“ verstehende Landesverband den Grünen und ging mit ihnen Ende 2013 das erste schwarz-grüne Bündnis in einem Flächenland ein. Es funktioniert erstaunlich reibungslos, vielleicht auch deshalb, weil die CDU ihrem Koalitionspartner erheblich inhaltliche Zugeständnisse etwa beim Lehrplan zur Sexualerziehung gemacht hat. Und die politische Akzeptanz der Grünen wuchs weiter. 2011 wurde mit Winfried Kretschmann gar ein Grüner mit den Stimmen der SPD zum Ministerpräsidenten gewählt. In Baden-Württemberg regiert er seit 2016 mit der CDU als Juniorpartner, die das Land über ein halbes Jahrhundert maßgeblich geprägt hatte.

Im Bund war ein Bündnis zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen am Widerstand der Liberalen in letzter Minute gescheitert. Im Herbst vergangenen Jahres sahen sich führende Grüne wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bereits in Ministersesseln. Voreilig sprach mancher schwarz-grüne Vorturner von der längst fälligen Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Persönliche Sympathien etwa zwischen Göring-Eckardt und Merkel hätten ein zusätzlicher Kitt für Jamaika sein können. In den Sondierungsverhandlungen habe die Kanzlerin die Grünen inhaltlich hofiert, beklagte sich später FDP-Chef Christian Lindner. Deren abruptes Scheitern hat den engen Banden zwischen CDU und Grünen nichts anhaben können. Als jüngst die Koalition zwischen Union und SPD wegen der Asylpolitik auf der Kippe stand, signalisierten die Grünen Merkel unverhohlen parlamentarische Unterstützung. Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört, hieß es bei der FDP sarkastisch.





Chronik des schwarz-grünen Verhältnisses

1980

Einer der Mitbegründer der Grünen ist der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl. 

1983

Unionspolitiker plädieren dafür, die Grünen vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Innenstaatssekretär Carl-Dieter Spranger (CSU) soll dem Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer (CDU) nachrichtendienstliche Informationen über die Grünen zugespielt haben. 

1984

Erstmals bringt der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Rezzo Schlauch (Grüne) öffentlich eine schwarz-grüne Koalition ins Spiel. Vier Jahre später äußert dort mit Ministerpräsident Lothar Späth der erste CDU-Spitzenpolitiker Sympathien für die Grünen („... sind für mich die Interessantesten...“) 

Mitte der 90er

Nachwuchspolitiker beider Parteien treffen sich regelmäßig in einer Bonner Pizzeria – die sogenannte „Pizza-Connection“. Darunter Cem Özdemir, Volker Beck (beide Grüne), Norbert Röttgen, Peter Altmaier, Ronald Pofalla und Hermann Gröhe (alle CDU). 

1994

Mülheim an der Ruhr ist die erste deutsche Großstadt, in der eine schwarz-grüne Koalition regiert (bis 1999). 

2001

Die erste Landeshauptstadt mit einer schwarz-grünen Koalition ist Saarbrücken (bis 2003). Zwei Jahre später folgt Kiel (bis 2009). Im Jahr 2001 kommt es auch zur ersten schwarz-grünen Zusammenarbeit auf Landkreisebene im hessischen Marburg-Biedenkopf. Auf kommunaler Ebene gibt es häufiger Jamaika-Koalitionen. 

2008

Die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene kommt in Hamburg zustande. Nach zwei Jahren platzt das Bündnis. Die CDU verliert bei den folgenden Wahlen über 20 Prozentpunkte, die Grünen legen leicht zu.  

2014

Etwa fünf Monate nach der Landtagswahl im September 2013 in Hessen bilden CDU und Grüne eine Koalitionsregierung.

2016

In Baden-Württemberg wird unter Winfried Kretschmann, seit 2011 erster grüner Ministerpräsident (zunächst mit der SPD), die erste grün-schwarze Koalition auf Landesebene gebildet. In Sachsen-Anhalt regiert eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen.

2017

Seit Juni koalieren CDU, Grüne und FDP in Schleswig-Holstein. Im Herbst kommt es erstmals auf Bundesebene zu Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition. Sie enden ergebnislos, nachdem die FDP sich ausklinkt. 

Juni 2018

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bietet eine Koalitionsbeteiligung ihrer Partei an, sollte die CSU im Asylstreit aus der Regierung ausscheiden. (eli)