© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Flächenbrand nach Fehlschuß
Frankreich: Der Tod des afrikanischstämmigen Aboubakar F. durch eine Polizeikugel zeigt das schwierige Verhältnis zwischen Einwanderern und Staatsgewalt
Friedrich-Thorsten Müller

Immer wieder hallte es durch die Nächte in Nantes: „Wahrheit und Gerechtigkeit für Abu“ und „Polizei überall – Gerechtigkeit nirgendwo“-Rufe begleiteten die mehrtägigen bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen in der westfranzösischen Großstadt nach dem Tod eines Jugendlichen bei einer Polizeikontrolle. 

Der 22jährige afrikanischstämmige Aboubakar F. war bei dem Versuch, sich einer Polizeikontrolle zu entziehen, durch die Kugel eines Polizisten an der Halsschlagader getroffen worden und starb zwei Stunden später im Krankenhaus. Jeweils mindestens hundert Jugendliche aus den Einwanderervierteln Malakoff, Dervallières und vor allem Breil, wo sich der tödliche Zwischenfall zugetragen hatte, marodierten daraufhin vergangene Woche fünf Nächte lang durch die Stadt. 

Dabei wurden weit über 100 Autos angezündet, bis zu 20 Gebäude – darunter auch eine Bibliothek, ein Bezirksrathaus und ein Polizeiposten – in Brand gesteckt und mehrere Dutzend Randalierer verhaftet. Bei den Unruhen flogen neben Steinen auch Molotow-Cocktails.

Auslöser für die Ausschreitungen ist der Vorwurf, daß der unter anderem wegen Diebstahls polizeilich gesuchte Jugendliche Opfer eines unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes sein könnte. Ein Verdacht, der sich zu erhärten scheint. 

Polizeischütze revidiert seine Aussage   

Die ursprüngliche Behauptung der Polizei, daß der Jugendliche bei seinem Fluchtversuch einen Beamten angefahren habe, wurde inzwischen revidiert. Der Polizeischütze hat darüber hinaus seine Aussage zurückgezogen, aus Notwehr gehandelt zu haben und plädiert nun auf einen Schuß, der sich „unabsichtlich gelöst“ habe. Daraufhin wurde der Beamte zunächst in Untersuchungshaft genommen und nach seiner Haftentlassung unter Hausarrest und Kontaktverbot mit seinen Kollegen gestellt. 

Premierminister Éduard Phillipe, der sich zwischenzeitig vor Ort begeben hat, verurteilte die Krawalle und die Zerstörung privater und öffentlicher Güter, sicherte aber gleichzeitig „größtmögliche Transparenz“ bei der Aufklärung des Zwischenfalls zu. Auch die Familie des Getöteten lancierte über ihre Anwälte einen Aufruf zur „Ruhe und zur Beruhigung“ in der Stadt und forderte gleichzeitig, die „absolute Wahrheit“ über den Vorfall zu erfahren. 

Eine friedliche Demonstration mit über tausend Teilnehmern vergangene Woche Donnerstag würdigte die Fortschritte der Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung des Sachverhalts und trug damit weiter zur zumindest vorläufigen Beruhigung der Lage bei. Bis auf weiteres konnte auch ein Übergreifen der Unruhen auf die sensible Pariser Banlieue verhindert werden. Lediglich in Garges-lès-Gonesse kam es kurzzeitig zu Störungen.

Bereits im April war es bei Demonstrationen Tausender Linksextremer aus der Hausbesetzerszene in der Innenstadt von Nantes zu schweren Sachbeschädigungen und 60 verletzten Polizisten gekommen.