© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Zurück in die alte Heimat
Standortentscheidungen: Warum künftig mehr Unternehmen mit ihrer Produktion nach Deutschland oder Europa zurückkehren könnten
Carsten Müller

Als die Haushaltswarenfirma Fackelmann ankündigte, ihre Produktion in China herunterzufahren, glaubte mancher, nicht richtig zu hören. Denn Kochlöffel, Quirls und Wäscheständer galten als Paradebeispiel für billige Auslandsproduktion. Doch das fränkische Familienunternehmen hatte scharf nachgerechnet: China ist aufgrund der kräftigen Lohnsteigerungen als Standort zunehmend unattraktiver geworden.

Hinzu kommt: Ein deutlich höherer Grad an Automatisierung macht – unter Einrechnung des Transport- und weiteren Aufwands – deutsche Lohnstückkosten wieder konkurrenzfähig. Auch der Motorsägen-Hersteller Stihl schloß ein Werk in Brasilien zugunsten der Produktion im heimischen Waiblingen. Der Modelleisenbahnbauer Märklin hat sein China-Abenteuer ebenfalls beendet. 2006 war die schwäbische Traditionsfirma mit großen Ambitionen nach Asien gegangen, doch zeigte sich sehr schnell, daß zwar die Lohnkosten extrem niedrig waren, dafür aber auch die Qualität oftmals nicht stimmte.

Mit der Folge, daß Märklin 2009 sogar pleite ging. Der darauffolgende Neuanfang war eng verbunden mit einer Rückkehr der Produktion nach Deutschland und Ungarn, wo man auf der Kostenseite durch konsequente Automatisierung punkten konnte und gleichzeitig wieder Spitzenqualität lieferte.

Damit scheint sich eine längerfristige Entwicklung umzukehren, die besonders nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Fahrt aufnahm. Die heimische Industrie und ihre Zulieferer zog es zunächst in die Visegrád-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechei, Ungarn). Als das dortige Lohnniveau anzog, ging es weiter nach Rumänien und Bulgarien oder noch weiter in Richtung Asien.

Digitalisierungstechnologien wichtiger als Lohnkosten

Und wer auf dem chinesischen Markt erfolgreich sein will, kommt um Produktionsstätten im Reich der Mitte nicht herum: das fängt beim Zwang zu Gemeinschaftsunternehmen an und geht bis hin zu Import-, Zoll- und Zulassungsbestimmungen. Die Gründe, warum Firmen über eine Rückverlagerung ihrer Produktion nach Deutschland nachdenken und diese auch in die Tat umsetzen, sind allerdings vielfältig.

Einen guten Einblick liefert dabei eine Studien-Serie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI), die die Produktionsverlagerungen aus und nach Deutschland mißt und auch die Argumente abfragt. Interessantes Detail: Die Lohnkostenfrage spielt bei Standortentscheidungen eine zunehmend geringe Rolle. In den zuletzt verfügbaren Umfragezahlen von 2015 waren nur noch für elf Prozent der Unternehmen die Personalkosten wichtig. Einscheidend bei einer Rückverlagerung der Produktion ist ein hoher Schub bei der Automatisierung. Firmen, die bei der Anwendung digitaler Techniken fortgeschritten sind, haben eine Rückkehr-Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent und damit zehnmal höher als bei Unternehmen, die diesbezüglich noch keine Erfahrungen haben.

Steffen Kinkel, Professor für International and Networked Business an der Hochschule Karlsruhe, der zusammen mit dem ISI die Studien erläutert, sagte hierzu: „Zum einen kann der Einsatz von Digitalisierungstechnologien zu einer erhöhten Automatisierung und Produktivität deutscher Produktionsstandorte führen, so daß die Lohnkostenanteile geringer und geringe Lohnkosten weniger attraktiv werden, was Rückverlagerungen begünstigt.“ Darüber hinaus sieht Kinkel auch Chancen, daß die Firmen durch die „Industrie 4.0“ (JF 23/18) eine höhere Flexibilität und Individualisierbarkeit von Produkten erreichen können – und deshalb auch wieder mehr die Nähe ihrer Stammkunden suchen.

Der meistgenannte Aspekt ist die Flexibilität und Lieferfähigkeit mit einem Anteil von 56 Prozent an den Antworten in der ISI-Studie, gefolgt von Qualitätsansprüchen mit 52 Prozent. Beides sind zentrale Themen, die durch Fertigungsstätten fernab vom eigentlichen Absatzmarkt Probleme bereiten. Die Lieferzeiten für Produkte sind oft viel zu lang und man kann deshalb nicht flexibel genug auf Veränderungen der Nachfrage reagieren. Ganz abgesehen vom Thema Qualität, was gerade bei vielen höherpreisigen Produkten geradezu ein K.-o.-Kriterium im Wettbewerb ist.

Dennoch: Auch wenn inzwischen viele Argumente auf dem Tisch liegen, die für eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland sprechen, so bleiben diese bislang noch die Ausnahmen. Die Regel sind immer noch eher Produktionsverlagerungen ins Ausland, insbesondere natürlich weiterhin nach Asien – nur eben nicht nach China, sondern nach Indien oder Vietnam. Hier sind auch die Energiekosten und Umweltauflagen weit geringer.

Doch die Größenverhältnisse beginnen sich zu verändern. Und das durchaus mit einer gewissen Dramatik. Lag der Anteil von Produktionsverlagerungen in der Metall- und Elektroindustrie ins Ausland 1999 noch bei rund 27 Prozent, bezogen auf die Gesamtzahl der Betriebe, schmolz er bis 2015 auf elf Prozent ab. Für das verarbeitende Gewerbe hat das ISI seit 2006 Zahlen vorliegen. Damals mit einem Anteil von 15 Prozent gestartet, lag dieser 2015 bereits nur noch bei neun Prozent.

Und wie sieht es bei den Rückverlagerungen aus? In den letzten zehn Jahren lag die Quote sowohl für die Metall- und Elektroindustrie sowie für das verarbeitende Gewerbe bei zwei bis drei Prozent. Das scheint noch ein sehr geringes Niveau zu sein. Doch in der Interpretation werden die Trends deutlicher: Kam vor zehn Jahren auf jeden zehnten Verlagerer ein Rückverlagerer, beträgt das Verhältnis nun drei zu eins.

Brexit und Donald Trump sorgen für neue Argumente

Dies könnte letztlich den Wirtschaftsstandort Deutschland generell stärken. Denn der Qualitätausweis „Made in Germany“, einst ein sehr wichtiges Verkaufsargument, wurde in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend ausgehöhlt. Nun erlebt er aber augenscheinlich seine Renaissance. Aber nicht jeder Asien-Enttäuschte kehrt tatsächlich nach Deutschland zurück. Exemplarisch dafür steht die Teddybären-Produktion von Steiff. 2008 sorgte die Firma für große Aufmerksamkeit, indem sie den Rückzug der Produktion aus China verkündete. Jedoch ging es nicht zurück in die badische Provinz, sondern Spielzeugwaren werden nun hauptsächlich in Portugal und Tunesien gefertigt. Immerhin nähert sich Steiff wieder den europäischen Kunden und kann so flexibler auf Nachfrageänderungen reagieren.

Auch politische Veränderungen – Stichworte: Brexit und Donald Trump – liefern neue Argumente für deutsche Firmen, ihre Standortpolitik zu überdenken. Wie der EU-Austrittsvertrag von Großbritannien aussieht, ist noch unklar. Aber in Washington heißt es schon jetzt: „America first!“ Für die deutsche Autoindustrie bedeutet das: Mehr „Made in USA“, wenn God’s own country weiterhin der drittwichtigste Auslandsmarkt von Daimler, BMW & Co. sein soll. Die meisten Probleme dürfte Volkswagen bekommen. Nicht, weil dessen Pkws „Made in Germany“ sind wie Trump oder manche deutsche Autokäufer glauben, sondern weil die Endproduktion der renditeträchtigen SUV Audi Q5 und VW Tiguan Allspace sowie des VW Jettas komplett in Mexiko stattfinden.

„Die Abkehr der Industrie von China“ in Technology Review (5/18):

 www.heise.de/tr/

 www.isi.fraunhofer.de