© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die französische Zeitschrift Valeurs Actuelles hat auf einige irritierende Vorgänge bei Eröffnung der neuen „Großen Moschee von Poitiers“ hingewiesen. Dieses Projekt war in die Schlagzeilen geraten, nachdem Identitäre die Baustelle besetzt und gegen die Errichtung einer islamischen Gebetsstätte an dem Ort protestiert hatten, an dem die arabische Invasion 732 durch Karl Martell aufgehalten worden war. Die Aktivisten wurden festgenommen und sind mittlerweile zu relativ hohen Strafen verurteilt worden. Den Fortgang der Arbeiten konnten sie jedenfalls nicht aufhalten, zumal die sozialistische Stadtregierung das Projekt massiv unterstützte. Und das, obwohl die finanziellen Mittel vor allem aus Katar stammen, jenem Golfstaat, der für seine Förderung eines ausgesprochen rigiden und fallweise antisemitischen Islam bekannt ist. Die Organisation Qatar Charity, die das Geld zur Verfügung stellte, behauptet zwar, sich nur für soziale Zwecke und die Errichtung von Koranschulen einzusetzen, wurde aber bereits durch die USA und einige Golfstaaten der aktiven Förderung des islamischen Terrorismus beschuldigt. In dem Bericht heißt es weiter, daß die Moschee auf ihrer Facebook-Präsenz eine Konferenz in Poitiers ankündige, zu deren prominenten Referenten Hassan Iquioussen, einer der wichtigsten Sprecher der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich, gehöre, der die islamistischen Anschläge für „falsche Probleme“ halte und meine, daß „Abtrünnige“ zwölf Kugeln in den Kopf verdienten, sowie Hani Ramadan, Bruder von Tariq Ramadan, radikaler Prediger, Verbreiter diverser Komplottheorien und Befürworter der Scharia, dem im April 2017 der Aufenthalt in Frankreich verboten wurde, und der nun über das Thema „Der Islam, die Religion des Friedens und der Toleranz“ sprechen solle. Die eigentliche Pointe des Geschehens ist allerdings, daß der Imam der Großen Moschee von Poitiers in einem nur auf arabisch geführten Interview erklärt habe, deren eigentlicher Name sei der der arabischen Bezeichnung für die Schlacht bei Tours und Poitiers: „Feld der Märtyrer“.

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Der Bundespräsident wie die Fernsehkommentatoren wie die Leitartikler der Qualitätspresse machen sich Sorgen um die Vergiftung des öffentlichen Klimas, die Enthemmung der Wortwahl, die Entgrenzung der Argumentation. Man glaubt dem offenbar beizukommen durch Beschwörung von guten Sitten oder Netiquette oder Appell an das Zusammenstehen aller Menschen guten Willens gegen das radikal Böse. Wenig davon hat seine Berechtigung, das meiste ist übertrieben, aber in jedem Fall übersehen die Klagenden, daß die Verschärfung des Tonfalls mit einer Verschärfung der Lage zu tun hat. Es ist nicht so, daß überraschenderweise die Ungezogenen ihr Schandmaul aufreißen, sondern so, daß auf der einen Seite die Meinungsmacher und -kontrolleure versuchen, alle Kritik wegzudrücken oder zu diffamieren und ihre Sprach- und Denkregeln aufrechtzuerhalten und sich auf der anderen Seite eine lange aufgestaute Wut und Verzweiflung Luft macht.

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An etwa vierzig britischen Schulen wurde das Tragen von Röcken verboten. Die Leitungen wollen damit ein Zeichen setzen, daß die Erziehung „gender free“ ist und sich sensibel zeigen, im Hinblick auf alle Transgenderpersonen und Transsexuelle. 

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Eric Zemmour hat eine unerwartete Deutung geliefert für zwei Entscheidungen hoher französischer Gerichte. Die eine betrifft die sogenannten „crimes de solidarité“, etwa „Verbrechen aus Solidarität“, begangen von jenen Franzosen, die illegale Zuwanderer verstecken und unterstützen, und die nun für straffrei erklärt wurden, weil der Wert der „fraternité“ – der „Brüderlichkeit“ – dazu verpflichte, auch denen zu helfen, die eigentlich im Lande nichts zu suchen haben; die andere bezieht sich auf die Verurteilung des Rassemblement National, weiland Front National, zu einer Buße von zwei Millionen Euro, wegen Zweckentfremdung von Mitteln, die die Partei im Europäischen Parlament erhalten hatte, obwohl in Brüssel bisher weder Klage erhoben noch ein Bußgeld gefordert worden war (wahrscheinlich weil sich die übrigen Parteien nicht sehr viel anders verhalten). Zemmour meint, daß man hier sehr deutlich die Tendenz zum Richterstaat erkennen könne, der sich weder um die Belange der anderen Gewalten noch die politische Ordnung insgesamt kümmere. Eine „Kaste“ fälle Entscheidungen, die deren „Weise“ mit Hilfe einer „Philosophie“ rechtfertigten, die Züge einer Ar-

kanlehre trage und gleichzeitig jeder Diskussion entzogen werde. Angesichts dessen erscheine das Vorgehen der polnischen wie der ungarischen Regierungen gegen ihre Judikativen in einem ganz neuen Licht.

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Die Erweiterung des Wahlrechts ist normalerweise an die Erwartung geknüpft, daß die neu Berechtigten ihre Dankbarkeit durch ein Votum für die Erweiterer zeigen. Was wohl bedeutet, daß man in Union und SPD damit rechnet, zukünftig von besonders vielen geistig behinderten Menschen gewählt zu werden. 


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 3. August in der JF-Ausgabe 33/18.