© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Die Blickwinkel werden weniger
„Kampf gegen Fake News“: Die sozialen Netzwerke setzen bei Online-Nachrichten auf etablierte Medien
Christian Schreiber

Die sozialen Netzwerke drängen ins Nachrichtengeschäft und haben gleichzeitig im Kampf gegen sogenannte „Fake News“ seit einigen Wochen eine Offensive  gestartet, die Kritiker als Eingriff in die Meinungsfreiheit sehen. 

So hat der Kurzmitteilungsdienst Twitter binnen zweier Monate 70 Millionen Konten geschlossen. Laut der Washington Post hat das Unternehmen im Mai und Juni täglich eine Million Nutzerkonten gesperrt. Hintergrund der Maßnahme ist der Verdacht, daß russische Hacker mit sogenannten Bots die Präsidentschaftswahlen von Donald Trump beeinflußt haben könnten. Twitter hatte kürzlich erklärt, daß eine russische Gruppe mit der Bezeichnung „Internet Research Agency“ während des US-Wahlkampfes mehr als 3.800 Konten kontrollierte.

Angriff auf die Vielfalt und die Gründungsidee

Die Eingriffe von Twitter haben allerdings Ausmaße angenommen, die nicht nur russische „Spam-Accounts“ treffen. Mit über Algorithmen gesteuerten Qualitätsfiltern wollen die Betreiber Beiträge ausfindig machen, die „bösartig“ sind, aber nicht verboten. In der Folge werden diese Inhalte gar nicht mehr angezeigt – ohne daß die Nutzer und Verfasser dies mitbekommen. Darunter fallen Profile, die „Gewalt gegen Personen aufgrund ihrer Abstammung, ethnischen Zugehörigkeit, nationalen Herkunft, sexuellen Orientierung oder auch religiösen Herkunft fördern“.

Eine ähnliche Vorgehensweise ist derzeit bei Facebook zu beobachten. Das weltweit größte soziale Netzwerk setzt im Kampf gegen Falschmeldungen künftig auf vorwiegend reichweitenstarke Nachrichtenquellen. In Nutzer-Umfragen läßt Facebook die Glaubwürdigkeit der Quellen bewerten. Als Beispiele werden T-Online und Spiegel Online aufgeführt: „Wir haben uns für das Jahr 2018 im Hinblick auf tagesaktuelle Nachrichtenquellen auf Facebook klare Prioritäten gesetzt“, erklärt der US-Konzern und nennt an oberster Stelle „Nachrichten aus überregionalen Quellen, die von einer repräsentativen Öffentlichkeit auf Facebook als vertrauenswürdig eingestuft werden.“ Was „repräsentativ“ und „vertrauenswürdig“ genau bedeuten und welche Kriterien konkret zugrunde liegen, läßt das Unternehmen jedoch offen. Klar scheint allerdings zu sein, daß große etablierte Medienhäuser bevorzugt werden und diese mit gezielten Werbemaßnahmen auf die von Facebook eingeleiteten Umfragen Einfluß nehmen könnten. 

Und auch auf die Nutzer der Videoplattform Youtube kommen künftig einige Neuerungen zu. Das kündigte der Mutterkonzern Google in einer Erklärung an, die ähnlich klingt wie bei Facebook. Bei aktuellen Nachrichtenlagen werden in der neuen Rubrik „Breaking News“ ab sofort Beiträge aus „verläßlichen Quellen direkt auf der Startseite“ angezeigt. In der Rubrik „Top News“ werden zudem Videos von Nachrichtenanbietern in den Suchergebnissen hervorgehoben. So sollen „zuverlässige Nachrichtenquellen“ gestärkt werden. „Top News“ und „Breaking News“ sind  seit der vergangenen Woche in Ländern wird den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan verfügbar. Die Einführung auf dem deutschen Markt soll in den nächsten Wochen erfolgen. Die Maßnahme soll vor allem in Situationen eingesetzt werden, in denen die Nachrichtenlage noch unklar ist und Gerüchte schnell in Umlauf geraten, etwa unmittelbar nach einer Naturkatastrophe oder einem Amoklauf. 

Wie das Unternehmen außerdem erklärt, stellt Youtube im Rahmen der Google News Initiative zusätzliche 25 Millionen Dollar für verschiedene Förderprogramme zur Verfügung. So soll eine Arbeitsgruppe, zu der unter anderem Journalisten von internationalen Medien wie Vox Media, dem brasilianischen Radionetzwerk Jovem Pan oder India Today gehören, neue Nachrichtenbereiche für Youtube entwickeln.

Die richtungsweisenden Schritte verdeutlichen den Professionalisierungsdrang der sozialen Medien auf dem weltweiten Nachrichtenmarkt. Daß alternative kleinere Anbieter fern des Mainstreams dabei beseite gedrückt werden, reduziert nicht nur die Vielfalt auf den Plattformen, sondern beschädigt auch den reizvollen Gründungsansatz, Menschen barrierefrei zu vernetzen und ihre individuellen Online-Projekte starten zu können. 

Daß die Säuberungsmaßnahmen der großen Internetfirmen dabei alle treffen können, zeigt die Löschung der eher linksgerichteten Seite Netzpolitik.org bei Twitter. Als der Kurzmitteilungsdienst damit begann „kritische Accounts“ auszumisten, mußte sich das Portal neu verifizieren, weil das Konto zu jung sei und außerdem mit einem Bot arbeite.