© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Tauziehen um Bin Ladens Leibwächter
Fall Sami A.: Trotz des Rückholentscheids des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen sitzt der Gefährder weiter in tunesischer Haft
Peter Möller

Der Fall Sami A. entwickelt sich für die deutschen Sicherheitsbehörden zum Albtraum. Denn die Abschiebung des mutmaßlichen Leibwächters von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden wirft immer mehr Fragen auf und droht die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und anderer ausreisepflichtiger Ausländer aus Deutschland weiter zu erschweren. Knackpunkt im Streit um Sami A. ist die Frage, ob bei der Ausweisung des Mannes alles mit rechten Dingen zugegangen ist, oder ob sich staatliche Stellen auf Druck und mit Billigung der Politik über geltendes Recht hinweggesetzt haben.

Verwaltungsgericht wollte Abschiebung verhindern       

Der gebürtige Tunesier war 1997 zum Studium nach Deutschland gekommen. Später reiste er in ein Terror-Camp nach Afghanistan und schloß sich dort nach Ansicht der Behörden der Terrororganisation Al-Qaida an. Obwohl Sami A. seitdem als islamistischer Gefährder galt, durfte er jahrelang nicht außer Landes gebracht werden, weil ihm nach Ansicht der Gerichte in seiner Heimat Tunesien Folter und eine rechtswidrige Behandlung drohte.

Erst durch die öffentliche Diskussion über mangelnde Abschiebungen von Ausländern, deren Asylanträge längst abgelehnt wurden, wurde Sami A. schließlich am 13. Juli in sein Heimatland abgeschoben. Trotz des Terrorverdachtes hatte er in Deutschland jahrelang für sich und seine Familie Sozialleistungen bezogen.

Doch auch diese Abschiebung wäre fast gescheitert. Denn das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte bereits am 12. Juli entschieden, daß der Tunesier wegen möglicher Foltergefahr in Deutschland bleiben müsse. Aber der Beschluß des Gerichtes wurde den Behörden erst am folgenden Tag zugestellt, als das Flugzeug mit Sami A. bereits gestartet war. Seitdem steht der Verdacht im Raum, das Gericht sei über den Abflugtermin getäuscht worden.

Am Wochenende berichtete nun die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, daß es dennoch durchaus möglich gewesen wäre, die Abschiebung des Mannes bis zuletzt zu stoppen. „Bis zur Übergabe an die tunesischen Behörden wäre dies möglich gewesen“, zitiert die Zeitung die Bundespolizei, die Sami A. mit einer Chartermaschine von Düsseldorf nach Tunesien brachte. Demnach hätte der Pilot der Maschine über Funk aufgefordert werden können, nach der Landung in Tunis aufzutanken und mit Sami A. zurückzufliegen.

Der zuständige nordrhein-westfälische Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Joachim Stamp (FDP), hatte dagegen gesagt, sein Ministerium sei erst 15 Minuten vor der Landung der Maschine in Tunesien über die Entscheidung des Gerichts informiert worden. „Ich bin davon ausgegangen, daß es keine Möglichkeit mehr gibt, das aufzuhalten.“ Am Wochenende bekräftigte Stamp seine Position: „Wir waren und sind der Rechtsauffassung, daß mit Erreichen des tunesischen Luftraums eine Rückholung des tunesischen Staatsbürgers Sami A. nicht mehr möglich war.“

Wenig überraschend sprang FDP-Chef Christian Lindner seinem Parteifreund zur Seite. Er vertraue darauf, daß es in Stamps Ministerium eine „konsequente Rechtsanwendung“ gegeben habe, sagte Lindner am Sonntag im Sommerinterview des ZDF. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) hinter die Entscheidung der Behörden in Nordrhein-Westfalen gestellt. Das Land habe bei der Abschiebung von Sami A, „nach Recht und Gesetz entschieden“, sagte Seehofer. Gleichzeitig versuchte er den Verdacht zu zerstreuen, er habe von der heiklen Rechtslage Kenntnis gehabt. „Ich muß mich darauf verlassen, daß die dafür zuständigen Behörden nach Recht und Gesetz handeln“, bekräftigte der Bundesinnenminister, der eingestand, über die geplante Abschiebung des Gefährders informiert gewesen zu sein.

Bochum will Sami A. nicht zurück

Wie geht es nun für Sami A. weiter? Nachdem die Abschiebung des Tunesiers gegen den Willen des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen vollzogen worden war, ordneten die Richter per Eilbeschluß die sofortige Rückholung nach Deutschland an. Doch dem steht die tunesische Justiz im Weg, die eine Auslieferung ihres Staatsbürgers kategorisch ablehnt. Und auch in Deutschland gibt es Widerstand: Die Stadt Bochum, wo Sami A. zuletzt gemeldet war, will verhindern, daß er zurückgeholt wird. Sie hat daher in der vergangenen Woche beim Oberverwaltungsgericht Münster Beschwerde gegen die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zur Rückholung eingelegt. Eine Entscheidung der Richter in Münster wird nicht vor Mitte August erwartet. Bis dahin dürfte der politische Streit um den Fall Sami A. weiterköcheln. Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß Behörden und Gerichte bis auf weiteres bei jeder als kritisch eingeschätzten Abschiebung von Ausländern ganz genau hinschauen werden, um sich nicht in der Öffentlichkeit der Kritik der Rechtsbeugung auszusetzen. Es ist unter diesen Bedingungen unwahrscheinlich, daß sich die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland in absehbarer Zeit signifikant erhöhen wird.