© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Verzerrte Berichterstattung
Studie: Die AfD kommt in der „Tagesschau“ deutlich weniger zu Wort als die anderen Oppositionsparteien
Ronald Berthold

Wenn es um Atomkraft und Umweltschutz geht, befragen Journalisten wie selbstverständlich die Grünen nach ihrer Meinung. Denn diesen wird als „Öko-Partei“ dabei die kritische Kernkompetenz zugeschrieben. Nun diskutiert Deutschland aber seit Monaten über die Flüchtlingspolitik. Man müßte umgekehrt annehmen, daß gerade die „Tagesschau“ jene Partei zitiert, die wegen ihrer Kritik daran massenhaft gewählt wurde. Doch die AfD kommt in Deutschlands führender Nachrichtensendung kaum vor.

Das ergab jetzt eine Auswertung aller 20-Uhr-Ausgaben der Sendung seit der Bundestagswahl bis einschließlich Juni. Über diese fast zehn Monate kommt ein eindeutiges Bild zustande: Am meisten Sendeplatz aller vier Oppositionsparteien räumt die Redaktion den Grünen ein. Vom 25. September 2017 bis zum 30. Juni 2018 hielten „Tagesschau“-Korrespondenten Claudia Roth und Co. 154mal das Mikrofon unter die Nase. Und das, obwohl die Partei die kleinste Fraktion im Bundestag stellt.

Daß es im ARD-„Flaggschiff“ eher nach politischen Vorlieben geht, zeigt auch, daß hinter den Grünen die Linkspartei auf Platz 2 liegt. Politiker der zweitkleinsten Fraktion durften in den 297 untersuchten „Tagesschau“-Sendungen 102 Statements abgeben. Die Reihenfolge ist antiproportional zum Gewicht der Parteien. Denn auf Rang drei landet die FDP als zweitgrößte Oppositionspartei. Sie durfte den Zuschauern 90mal ihren Standpunkt mitteilen. Die AfD als Oppositionsführerin im Bundestag kam lediglich 88mal zu Wort.

An der Spitze stehen die Grünen

Die AfD wirft der „Tagesschau“ aufgrund der Untersuchungsergebnisse eine „tendenziöse“ und „verzerrte“ Berichterstattung über die Opposition im Bundestag vor. Die Analyse hat die AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft vorgenommen. Die für die „Tagesschau“ verantwortliche Sendeanstalt ist der NDR mit Sitz in der Hansestadt. Der dortige AfD-Fraktionschef, Alexander Wolf, nannte das Vorgehen der Sendung „skandalös und nicht hinnehmbar“. Die Sednung mißbrauche ihren Informationsauftrag, wenn sie einseitig Parteien des linken politischen Lagers bevorzuge.

Dieser Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens lautet sinngemäß, das politische Geschehen in Deutschland fair abzubilden. Nur: Wenn auf eine Mitte-Links-Regierung vorwiegend grüne und linke Politiker antworten dürfen, scheint die Wahrnehmung dieses Auftrages verfehlt. Bis zum Einzug der AfD galt auch die Regel, daß die oppositionsführende Partei über das Recht verfügt, zunächst die Aktivitäten des Kabinetts zu kommentieren. Dies wird nun gebrochen.

Die AfD wird bewiesenermaßen benachteiligt. Von beitragsfinanzierter öffentlich-rechtlicher Ausgewogenheit hat sich die ARD verabschiedet. „Die unverhältnismäßig geringe Berücksichtigung der AfD durch die ‘Tagesschau’-Redaktion beschädigt das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Sender“, meint Wolf. Es könne nicht angehen, daß mit dem Geld der Bürger „hochalimentierte Journalisten, die augenscheinlich eine Präferenz für Grüne und Linke haben, das Meinungsbild der Opposition auf diese Weise verzerren“.

Ein ähnliches Bild bietet sich in den politischen Talkshows von ARD und ZDF. Auch dort sitzt meist kein Vertreter der AfD. Zum Unionsstreit über die Flüchtlingspolitik – immerhin das Kernthema der Partei – durften zwar drei von viermal die Grünen mitdiskutieren und einmal die FDP, nicht ein einziges Mal aber ein Vertreter der AfD. Begründung der ARD gegenüber dem Nordkurier: Die Gauland-Partei habe zu dem Thema „nichts Wesentliches“ beizutragen.

Auch eine Benachteiligung der AfD in der „Tagesschau“ wies der NDR gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zurück. Die Redaktion wähle jeden Tag nach journalistischen Kriterien aus, welche Stellungnahmen von Politikern zu einem Thema gesendet würden. Dabei stünden aber nicht immer die gewünschten Gesprächspartner zur Verfügung. Die Sendung „bemühe sich“, jeden Tag in den unterschiedlichen Ausgaben über den Tag verteilt eine Vielfalt von Stimmen zu einem Ereignis abzubilden. „Eine verengte Betrachtung auf die Ausgabe um 20 Uhr ist daher nur begrenzt aussagekräftig“, erläuterte NDR-Sprecher Martin Gartzke. Er betonte zudem, daß während der Koalitionsverhandlungen die daran beteiligten Parteien häufiger vorkamen als andere: „Mit der Konstituierung des neuen Bundestags und den Debatten nach der Regierungsbildung haben sich diese Gewichte dann deutlich verschoben.“ Im Mai allerdings wurden die Grünen immer noch mehr als doppelt so oft zitiert wie die AfD. Das Verhältnis lag bei 21:10. Erst im Juni konnte die AfD mit 17 Erwähnungen mit der Linkspartei gleichziehen.