© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Freispruch, aber kein Freibrief
Österreich: Das erstinstanzliche Urteil der Straffreiheit widerlegt Justizsprecher, entsetzt Verfassungsschutz und erfreut die Identitäre Bewegung
Curd-Torsten Weick

Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zeigte sich entsetzt. „Die Hauptakteure der Identitären Bewegung stolzieren jetzt herum und versuchen, das Urteil als Beweis zu nutzen, daß sie nicht rechtsextrem sind“, erklärte Peter Gridling gegenüber der Wiener Zeitung. Doch ob der erstinstanzliche Freispruch für 17 IB-Mitglieder, die wegen des Vorwurfs der Gründung einer kriminellen Vereinigung und Verhetzung angeklagt worden waren, Auswirkung auf die Behandlung der Identitären Bewegung in Österreich (IBÖ) durch das BVT habe, mochte er noch nicht sagen.

Eines sei jedoch sicher, so der Verfassungsschützer: „Nicht alles, was in dem Sinne rechtsextrem ist, ist auch strafrechtlich relevant.“ Gerade die IBÖ-Exponenten hätten „vielfach ihre Wurzeln im Neonazismus, sich aus diesem herausentwickelt und sich zu einer neurechten Bewegung geformt“ – um nicht mit dem Verbotsgesetz in Konflikt zu kommen. 

In die gleiche Kerbe schlägt das im Kampf gegen Rechts erprobte Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Wie das Urteil des Straflandesgerichtes Graz dokumentiere, habe eine von der IBÖ vorgenommene „rhetorische Modernisierung des altrechten Projekts einer ethnischen Homogenisierung“ den „Rechtsextremismus ein Stück weit gegen juristische Verfolgung immunisiert“. Gleichzeitig, so das DÖW, sei festzuhalten, daß der „Freispruch vom Vorwurf der Wiederbetätigung oder der Verhetzung nicht als verläßlicher Nachweis einer nicht-rechtsextremen Ausrichtung“ dienen könne. Daher sehe DÖW nun auch keinen Anlaß, von seiner Einstufung der IBÖ als rechtsextrem abzuweichen.

FPÖ sieht juristischen  Handlungsbedarf

Während der Verhandlung hatte die Grazer Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe gegen die Gruppe erhoben. „Sie stellen sich als eine Front von Gesetzestreuen dar und begehen fortwährend Gesetzesbruch“, sagte er. Sie seien „keine Front von Patrioten, sondern eine Front von Feiglingen“. Die Angeklagten nannte er „Pseudomoralisten, die vorgeben den Staat zu beschützen“.

In seiner Urteilsbegründung schlug der Richter einen anderen Ton an. „Wenn eine Organisation im Kernbereich legale Tätigkeiten ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigung, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben.“ Das Transparent mit der Aufschrift „Islamisierung tötet“, das die IB von der Parteizentrale der Grazer Grünen heruntergelassen habe, sei „keine Kritik am Islam, sondern an der Grünen-Politik und dem radikalen Islamismus“.

Ein Schlag ins Gesicht für Christian Pilnacek. Der Generalsekretär im Justizministerium hatte zu Prozeßbeginn im ORF die IBÖ-Einschätzung des DÖW gewürdigt und betont, daß es in dem Prozeß vor allem um eines gehe: „Wehret den Anfängen.“ Zudem verwies Pilnacek auf das von SPÖ, ÖVP und Neos gebilligte Strafrechtsänderungsgesetz 2015; dem zufolge könne der Tatbestand der Verhetzung auch konstitutiv für die Bildung einer kriminellen Vereinigung sein.

Damit ist wiederum SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim nicht zufrieden. Laut Standard  forderte der Sozialdemokrat das Justizministerium als Weisungsspitze auf, einen Erlaß herauszugeben, damit die Staatsanwälte wüßten, wie sie den Tatbestand der kriminellen Vereinigung auszulegen hätten. Vor diesem Hintergrund regt Harald Stefan an, die „einschlägigen Bestimmungen des Strafrechts auf ihre Treffgenauigkeit und den Umfang der Einschränkung der freien Meinungsäußerung unter die Lupe zu nehmen.“ Ob das dann zu Gesetzesänderungen führe, sei „derzeit offen“, so der Justizsprecher der FPÖ gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Derweil feierte IBÖ-Chef Martin Sellner: „Es war ein guter Tag für die Meinungsfreiheit in Österreich.“ Das Urteil sei aber nur ein „Etappensieg“. Parallel dazu gab die Staatsanwaltschaft Graz bekannt, Berufung gegen das Urteil einzulegen.