© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Von der Auflösung aller Bezüge
Kitschig verbrämte Rechtfertigung allgemeinen Mißtrauens: Eran Riklis Agententhriller „Aus nächster Distanz“ läuft diese Woche im Kino an
Sebastian Hennig

Die struppigen Machenschaften der Geheimdienste werden in Eran Riklis Film „Aus nächster Distanz“ in den seidenmatten Glanz einer intimen Frauenfreundschaft umgebürstet. Die Spannung der Gegensätze soll ihm dabei helfen. Als die Libanesin Mona (Golshifteh Farahani) vor der Aufdeckung ihrer Informantentätigkeit steht, muß sie unter Zurücklassung ihres Sohnes über das Meer fliehen. Mit ihrer hektischen, nächtlichen Einbootung beginnt der Film. Eine dunkle Limousine jagt durch die Altstadt von Beirut zum Strand. Dann sehen wir die israelische Mossad-Agentin Naomi (Neta Riskin) in einem Zimmer in Tel Aviv erwachen. Ihr Vorgesetzter beauftragt sie mit der Sicherung von Mona während ihres Identitätswechsels.

In einer großbürgerlichen Wohnung in Hamburg verbringen die beiden die nächsten beiden Wochen miteinander. Bevor Naomi in den Hausflur tritt, nimmt sie davor im Pflaster des Trottoirs den Schein des Laternenlichts auf der blanken Oberfläche zweier Stolpersteine wahr. Später erfahren wir, daß sich gerade in jener Wohnung, in der die beiden Frauen nun weilen, das letzte Versteck der jüdischen Hausbesitzer befand.

Monas Kopf ist verbunden und verpflastert infolge einer chirurgischen Gesichtsänderung. Naomis teigig-weißes Antlitz erzählt gleichfalls von ihren unüberwindbaren Häutungen und überstandenen Schrecken. Zunächst klingen in den Gesprächen der beiden noch einige Vorwürfe durch, die an ihr jeweiliges Umfeld gerichtet sind, aber bald ist die nahe Distanz angefüllt von Mitgefühl für das Los der anderen.

Die Gespräche der Frauen drehen sich um die Motive ihres Handelns, ihre Hoffnungen, ihre Ängste und ihre Verluste. Da wird nun alles hineingepackt und passend gemacht. Die aufdringliche Parabel des Films mag gut gemeint sein, wirkt aber in ihrer Durchschaubarkeit ärgerlich. Der Regisseur erläutert seine Absichten: „Diese Frauen sind der emotionale Kern, die emotionale Triebkraft, die mich und mein Publikum mit auf ihre Reise nehmen. Dies ist ein weiteres Kapitel in meinem langfristigen Bemühen, die komplexen Probleme des Nahen Ostens intensiver darzustellen, zu verstehen, zu untersuchen und das Publikum damit zu konfrontieren – immer wieder aus einem neuen Blickwinkel und diesmal mit einem Hauch von Geheimnis im Gewand eines Thrillers als kammerspielartige Story, die sich in einem Safehouse entwickelt.“ Die Vorlage zum Film ist dem Erzählband „The Link“ entnommen. Die drei Kurzgeschichten hatte die Schriftstellerin Shulamith Hareven 1986 unter dem Alias der Ex-Mossad-Agentin Tal Yaari veröffentlicht.

Beide Frauen haben ähnliche Eigenschaften

Die Hisbollah will die Abtrünnige eliminieren. Die erste Fährte erweist sich als falsch. Der finstere Trupp mit den Schalldämpferpistolen rennt durch leere Räume in Hamburg-Eimsbüttel. Während also die ganz großen Räder von Sicherheit und Gefährdung sich um die beiden Frauen drehen, vertreiben die sich ihre Zeit mit Plaudern, Kartenspiel und Putz. Als Mona eine helle Perücke auf ihr geschorenes und bandagiertes Haupt setzt, fragt sie Naomi: „Fühlst du dich auch manchmal blond?“, was diese ohne jedes Zögern verneint.

Beide Frauen haben ihre Männer verloren. Während der einen nun ein fremdes Gesicht zuwächst, versucht die andere, sich mit fremdem Sperma zu befruchten. Indem er ihr das junge Leben rettete, ist Naomis älterer Mann im Einsatz gefallen. Nun soll ein Spender 749 der biologische Vater werden. Auch das ist eine Metapher. Der Film zeigt zwei Frauen, welche die zeitgenössische Konvention als stark bezeichnen würde, der Regisseur sagt „tough“.

Unterdessen erweisen sich die deutschen Kollegen als verschlagen. Sie sind bereit, zusammen mit den Amerikanern das Leben der gewissenhaft vom Mossad geschützten libanesischen Agentin als Mitgift für einen Pakt mit den Arabern preiszugeben. Als beinahe alles aufgeflogen ist, trifft Naomi in einem Café in Köln mit einem kurdischen Weltweisen zusammen, den ihr Mona empfohlen hat. Ahmet (Haluk Bilginer) gibt vor, durch die Augen der Menschen in ihre Herzen zu sehen und zitiert Kahlil Gibran, das Leben sei eine Insel im Ozean der Einsamkeit. Der Regisseur spiegelt vielleicht unbewußt in der mißlichen Lage der Agentinnen das Schicksal der modernen, emanzipierten Frau. Er tut das aber nicht in der Absicht eines Vorwurfs, sondern es dient der Nobilitierung der Geschlagenen. Hinter der wachsenden Zuneigung der beiden Frauen wird eigentlich nur ihre Verwandtschaft im lieblosen und selbstbezogenen Fanatismus deutlich, der freilich aus den Umständen erwachsen ist.

Im Vordringen dieser ähnlichen Eigenschaften sucht der Film seine Anknüpfungspunkte bei einem individualisierten Publikum, von dem jeder als gnadenloser Agent in eigener Sache unterwegs ist. In dem Maße, in dem wir uns Glück wünschen, müssen wir dem Film Erfolglosigkeit wünschen. Denn er beinhaltet eine kitschig verbrämte Rechtfertigung des allgemeinen Mißtrauens und der Auflösung aller Bezüge. Er installiert die Vision eines richtigen Lebens mitten in ein falsches. „Nichts ist sicher. Niemand ist in Sicherheit. Niemand ist immun“, faßt der Regisseur seine Botschaft zusammen. Die Identifikation mit der Haltung seiner Protagonistinnen würde der Gesellschaft kein gutes Zeugnis ausstellen.