© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Frischer Wind
Äthiopien: Der jüngste Premierminister des afrikanischen Kontinents weckt im Land Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft und Prosperität
Marc Zoellner

Das plötzliche Ende der Kriegshandlungen kam selbst für die Regierung in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba überraschend: Erst Anfang vergangener Woche, als ethnische Unruhen die Region Somali ergriffen und Dutzende Tote gefordert hatten, lieferten sich die Rebellen der „Ogaden National Liberation Front“ (ONLF) noch heftige Gefechte mit den eintreffenden Militärs der Zentralregierung. 

Seit 1984 bereits kämpft die ONLF für die Unabhängigkeit dieser Region, die zum Großteil von ethnischen Somalis bewohnt wird – welche bevorzugt den historischen Landesnamen „Ogaden“ nutzen – und gut ein Drittel der Staatsfläche Äthiopiens ausmacht; seit 1994 auch mittels Waffengewalt. Doch zumindest mit letzterem scheint nun Schluß zu sein.

Liberalisierung der äthiopischen Industrie

„Von heute an eingestellt werden sämtliche militärischen und Sicherheitsoperationen, die sich gegen den äthiopischen Staat richten“, verkündeten die Separatisten am Sonntag abend ihren einseitigen Waffenstillstand. „Die positiven Schritte, welche die äthiopische Regierung eingeleitet hat, haben den Grundstein gelegt für friedliche Handlungen hin zu einer dauerhaften Lösung des Ogaden-Konflikts.“ Quasi über Nacht war damit der nunmehr 24 Jahre währende Ogaden-Aufstand beigelegt.

Diesen historischen Erfolg darf sich vor allem einer auf die Fahne schreiben: Abiy Ahmed Ali, mit 42 Jahren der jüngste Premierminister eines afrikanischen Staates und Hoffnungsträger einer ganzen Nation. Seit April dieses Jahres im Amt, ist der Waffenstillstand der ONLF bereits der dritte eingeleitete Friedensprozeß in Ahmeds kurzer Regierungszeit. Bereits Anfang August war der Premier als erster hochrangiger Vertreter Äthiopiens in Eritreas Hauptstadt Asmara eingeladen worden. Hierbei ging es nicht nur um die Details des jüngst ausgehandelten Friedens der ehemaligen Erzfeinde, die sich seit den 1990ern mehrere blutige Kriege und Stellvertreterkonflikte geliefert hatten. Unter Vermittlung von Eritreas Alleinherrscher Isaias Afwerki konnte Ahmed überdies einen Friedensvertrag mit der „Oromo-Befreiungsfront“ (OLF) sowie die politische Einbindung der Rebellengruppe aushandeln, die seit 1973 bewaffnet für einen eigenständigen Staat der Oromo-Ethnie im Herzen Äthiopiens kämpft.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte Ahmed im Frühsommer die Separatistenbewegungen sowohl der Oromo als auch der Ogaden sowie der Tigray, die im Norden des Landes bislang von Eritrea logistisch unterstützt worden waren, von der Liste der Terrorgruppen streichen lassen. Im Zuge dieser Entspannungspolitik wurde für über achttausend politische Gefangene eine Generalamnestie erlassen. Eritrea erhielt als symbolischen Akt die von beiden Staaten beanspruchte Stadt Badme zurück, den Ausgangsort des Grenzkriegs von 1998 (JF 34/15).  Sehr zur Empörung der noch immer im Hintergrund regierenden alten Seilschaften der äthiopischen Einparteiendiktatur, wie ein Ende Juni fehlgeschlagenes, von Polizisten begangenes Attentat auf Ahmeds Leben zeigte. 

Mit einem jährlichen Wachstum von rund zehn Prozent gehört Äthiopien seit einem Jahrzehnt zu den volkswirtschaftlichen Zukunftshoffnungen des afrikanischen Kontinents. Um die positive Konjunktur am Laufen zu halten, verkündete Ahmed im Juni die Liberalisierung des Großteils der äthiopischen Schlüsselindustrien: angefangen bei der renommierten „Ethiopian Airlines“, der bedeutendsten und insbesondere auch gewinnträchtigsten Fluggesellschaft Afrikas, über „Ethio telecom“, Äthiopiens einzigen Telekommunikationsanbieter, bis hin zum Eisenbahn- und Stromnetzwerk, den bislang staatlichen Hotels sowie den Industrie- und Gewerbegebieten.

Zwar behält sich der Staat die einfache Mehrheit am Aktienbesitz vor, große Pakete wurden allerdings bereits verkauft: An die Regierungen Sudans, Dschibutis und Somalilands beispielsweise, die dem Binnenland Äthiopien im Austausch wiederum Anteile ihrer wichtigsten Überseehäfen vermachten. Ein ebensolcher Deal konnte sogar mit Eritrea ausgehandelt werden. „In den letzten drei Monaten sind dadurch sämtliche von der Regierung bereitgestellte Industrieparks bereits voll belegt“, berichtet Belachew Mekuria, Vorsitzender der frisch gegründeten „Ethiopian Investment Commission“ (EIC), begeistert der Tageszeitung Ethiopian Herald.

Daran daß Äthiopiens Premier Abiy Ahmed trotz aller Reformbemühungen auch am politischen Konstrukt des Einparteiensystems rütteln wird, ist hingegen nicht auszugehen. Doch auch so dürften die Auswirkungen seiner Politik selbst in Europa spürbar werden: Aufgrund der tiefgreifenden Feindschaft beider Staaten durften im benachbarten Eritrea bislang sämtliche Männer zwischen achtzehn und fünfzig Jahren für über zwanzig Jahre in den Armeedienst gezwungen werden. Die rigorose Wehrpflicht veranlaßte seit der Jahrtausendwende über eine halbe Million Eritreer zur Flucht ins Ausland, auch über die gefahrvolle Route des Mittelmeers in die Staaten der EU.

Anfang August, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, sei diese Dienstpflicht von der eritreischen Regierung jedoch im Hinblick auf den Friedensprozeß mit Äthiopien auf achtzehn Monate gesenkt worden – mit einer Option gar auf zivildienstliche Alternativen. Die Folgen der Liberalisierung Äthiopiens dürften vielen Eritreern künftig als Anreiz zum Verbleib in den Staaten des Horns von Afrika dienen.