© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Gute Bewerber sollen die Wende bringen
Berlin: Skandale erschüttern die Polizei der Bundeshauptstadt bis ins Mark / Attraktivität des Dienstes soll erhöht werden
Martina Meckelein

Die Skandale um die Berliner Polizei reißen nicht ab. Seien es die nur noch als peinlich zu bezeichnenden Vorgänge in der Polizeiakademie, der Kaderschmiede der angehenden Ordnungshüter. Sei es der menschenunwürdige Umgang der Polizeiführung und des Senats mit erkrankten Polizisten durch defekte Schießstände; ein Beamter soll schon verstorben sein. Seien es mutmaßlich gefälschte ärztliche Gutachten, um unliebsame Kollegen aus dem Dienst zu entfernen. Seien es nicht nachvollziehbare Stelleneinsparungen, die Ermittlungen im Fall Anis Amri, des Terroristen vom Breitscheidplatz. Oder aktuell der vom Berliner Landgericht festgestellte Vorwurf, Beamte des Landeskriminalamtes hätten „zwingend gebotene Maßnahmen“ unterlassen und so einen Mord billigend in Kauf genommen.

Jahrzehntelange Mißwirtschaft in Berlin

„Diese Vorgänge zerstören auf der einen Seite das Vertrauen des einzelnen Polizisten in seine Führung und auf der anderen Seite das Vertrauen des Bürgers in seine Exekutive“, sagt Karsten Woldeit, AfD-Innenexperte im Berliner Abgeordnetenhaus, der JUNGEN FREIHEIT.

Sind die Skandale ein Systemversagen? Wenn ja, wer trägt die Verantwortung? Jörn Badendick ist Sprecher des Vereins „Unabhängige in der Polizei e.V“. Die Unabhängigen stellen gemeinsam mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) seit 2016 den Vorstand im Gesamtpersonalrat der Berliner Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist unter den freigestellten Personalräten nicht mehr vertreten. Badendick sieht die Skandale als Ergebnis einer jahrzehntelangen Mißwirtschaft und eben auch großer Personalnot. Er sagt gegenüber der JF: „Alles begann mit dem Berliner Bankenskandal im Jahr 2001. Es fehlten 25 Milliarden Euro in der Landeskasse, die politische Entscheidung lautete:  strikter Sparkurs, verbunden mit Personaleinsparungen.“

Der Rotstift wurde unter anderem bei der Polizei angesetzt. Verantwortlich war Ehrhart Körting. Der SPD-Politiker  wurde unter Klaus Wowereit, nachdem Eberhard Diepgen als Bürgermeister über den Bankenskandal gestolpert war, Innensenator. „Körting behauptete plötzlich, daß Berlin, statt 21.000 Polizisten nur 16.000 benötige“, sagt Badendick. „Vorbild für die Größe des Personalkörpers war Hamburg. Zunächst wurde ein Einstellungsstopp über fünf Jahre verordnet. Das heißt fünfmal cirka 500 Polizeianwärterstellen gestrichen – also 2.500 Beamte eingespart“, rechnet Badendick vor. „Es wurde ein bedarfsorientiertes Dienstmodell entwickelt. Tages- und Nachtzeiten wurden hinsichtlich des polizeilichen Einsatzaufkommens (pro Polizeiabschnitt, Anm. der Redaktion) statistisch ausgewertet. Diese Erfassung war Grundlage für die Anzahl der eingesetzten Funkstreifen pro Schicht, in der Regel wurde anschließend deren Anzahl reduziert. Passierte also in einer Nacht von Sonntag auf Montag, einem Zeitraum mit regelmäßig geringem Einsatzaufkommen, ein Verkehrsunfall mit Verletzten, waren die beiden einzigen Streifenwagen gebunden. Wäre gleichzeitig jedoch auch eine Rentnerin überfallen worden, hätte keine Polizei zur Verfügung gestanden. Vor der Umstruktierung waren vier Funkwagen rund um die Uhr eingesetzt.“

Trotz Einstellungsstopp gab es immer noch 2.500 Polizisten zuviel. „Deshalb begann etwas, was einige resignierte Kollegen als Sozialdarwinismus betiteln“,  sagt Badendick. „Ältere, kranke oder durch Dienstunfälle verletzte Polizisten sollten vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden. Wie viele es insgesamt waren, ist nicht geklärt. Personalvertretungen gehen von bis zu 2.000 Beamten aus. 1.022 entlassene Beamte zählte das Innenressort. „Viele von ihnen wurden unrechtmäßig entlassen“, sagt Badendick. „Viele klagten sich wieder ein.“ 

Selbst  Badendick sollte mit nur 32 Jahren in die Frühpension geschickt werden. Nach einem Dienstunfall im Mai 2011, bei dem er im Einsatz von einem Suizidalen mit einem Messer angegriffen wurde. Badendick mußte sich innerhalb von drei Wochen zweimal dem Polizeiärztlichen Dienst vorstellen. Einmal ging es um ein Gutachten zum Zurruhesetzungsverfahren. „Demnach war ich ein totales Wrack, das sich, salopp formuliert, nicht mehr die Schuhe zubinden konnte.“ 

Das andere Gutachten sollte seinen Gesundheitszustand zur Anerkennung des Dienstunfalls feststellen. „Da war ich topfit und auf dem medizinischen Gebiet ohne jeden Befund – man wollte ja nichts zahlen.“ Erst das Verwaltungsgericht entschied, daß Badendick wieder eingestellt werden müßte. Er verweist auf weitere Fälle, welche auf den Internetseiten der „Unabhängigen“ veröffentlicht wurden.

„Vertrauen in die Führung stärkt das nicht“, meint Woldeit. Genausowenig wie der Umgang mit den Beamten in der Schießstandaffäre. „Die Schießstände waren uralt“, sagt Badendick. „Die stammten teils noch aus dem Weltkrieg und der Nachkriegszeit.“ Die Lüftungen waren defekt. Im Jahr 2015 wurde bekannt, daß die damalige Polizeiführung vermutlich über Jahre die daraus resultierende Gefährdung der Gesundheit der Beamten in Kauf genommen hatte. 

Früher wurde beim Personal   aus dem vollen geschöpft

 Bei der Staatsanwaltschaft Berlin ist wegen des Schießstandskandals ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassung anhängig. „Aber jetzt passiert das Unglücklichste, was überhaupt passieren kann“, sagt Badendick. „Eine zentrale Beteiligte in diesem Verfahren wird zur Herrin über die Strafverfolgungsbehörden.“ Damit meint der Polizeikommissar seine frühere Vorgesetzte Margarete Koppers. Sie war Vizepräsidentin des Berliner Landgerichts und kam 2010 als Vizepräsidentin zur Polizei. Sie soll Ende 2011 „von einem Gutachten erfahren haben, das wegen akuter Gesundheitsgefahr durch kontaminierte Atemluft die Schließung der Schießstände empfahl“, berichtete der Focus.

Daß Koppers zur Generalstaatsanwältin ernannt wurde, kritisierten AfD, CDU und FDP scharf. Sie sei völlig ungeeignet für das Amt, erklärte die AfD. CDU und FDP verwiesen auf das laufende Ermittlungsverfahren gegen Koppers. Gegen sie wird jetzt in der Schießstandaffäre wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen in mehreren Fällen ermittelt. Die Berliner Zeitung zitiert die beiden CDU-Politiker Sven Rissmann und Burkard Dregger: „Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihre eigene Dienst- und Fachaufsicht.“

Badendick vermutet, daß das Ermittlungsverfahren so in die Länge gezogen wird, „daß die Vorgänge um die Schießstandaffäre verjähren. Übrig bleiben cirka 200 Erkrankte und bisher um die 750 Dienstunfallanzeigen.“

Doch Koppers soll auch Schuld an den Zuständen in der Polizeiakademie tragen. Sie setzte nämlich eine Strukturreform durch. Weg von der Landespolizeischule, hin zur Polizeiakademie, die eher einer Berufsschule ähnelt. Die Skandale sind nur noch peinlich. Pornodrehs, Hehlerware aus Autos vor der Akademie verkauft, Disziplinlosigkeit, fehlende Deutschkenntnisse. Angeblich wollten arabische Clans die Polizei unterwandern, indem sie junge „Familien“-Mitglieder in die Akademie einzuschleusen versuchen. 

„Es ist zutreffend, daß wir deutlich weniger qualifizierte Bewerber haben“, sagt Badendick. „Früher konnten wir aus einem größeren Fundus schöpfen, schon wegen der geburtenstarken Jahrgänge. Die Bewerber hatten häufig aufgrund der Wehrpflicht den Grundwehrdienst hinter sich und waren entsprechend sozialisiert, heute kommen sie direkt von der Schule. Zudem sei die wirtschaftliche Lage heute deutlich besser als noch vor zwanzig Jahren. Die Berliner Polizei ist bundesweit Schlußlicht bei der Besoldung und Ausstattung. Allgemein gibt es Beschwerden aus den Abschnitten, daß die Leute, die frisch von der Schule abgehen, nicht immer voll einsatzfähig seien. Mitunter sollen die für den Polizeiberuf notwendigen Deutschkenntnisse nicht vorhanden sein. Aber sichergestellt ist, daß arabische Clan-Mitglieder nicht in die Polizei gelangt sind. Zwei Bewerber aus solchen Familien sollen nicht eingestellt worden sein. Es gab den Fall, daß eine 20jährige arabischstämmige Praktikantin bei der Polizei in Schöneberg erwischt wurde, als sie in einem unbeobachteten Moment Fahndungsbilder vom Dienstrechner abfotografierte. Bei den Gesuchten soll es sich um Mitglieder einer arabischen Großfamilie gehandelt haben.“ 

Letzlich stolperte Polizeipräsident Klaus Kandt, Koppers Vorgesetzter, Ende Februar 2018 über die Skandale in der Polizeibehörde. Gerade der Abschlußbericht der polizeiinternen Taskforce „Lupe“ im Fall des Attentäters Anis Amri, der im Dezember 2016 mit einem gestohlenen Laster zwölf Menschen ermordete, führt erhebliche Versäumnisse auf. So gab es über 250 Mängel und 32 grobe Fehler bei der Observation, Telefonüberwachung und Vorgangsbearbeitung. Im LKA sollen Akten manipuliert worden sein, um alles zu vertuschen, was ihnen schaden könnte. Die Unabhängigen führen die Versäumnisse auf den eklatanten Personalabbau bei der Polizei zurück: „Der Rotstift von 2001 hat den Nährboden für den Amri-Skandal 2016 erst geschaffen.“

Berlin ist leider kein Einzelfall

Zur Zeit arbeiten cirka 16.300 Polizeibeamte in Berlin. Das Stadtgebiet ist in sechs Polizeidirektionen unterteilt. Eine Direktion besteht aus sechs Abschnitten. In der Direktion 2 fehlen 170 Beamte – sie sind dauerkrank. „Das ist das Personal eines gesamten Abschnittes“, sagt Badendick. Wie lange das noch gutgeht? „Fast das gesamte neu ausgebildete  Personal wurde in die Bereitschaftspolizei gesteckt“, betont der Kommissar. „Dadurch bluten die Abschnitte aus. Eine Folge der Umstrukturierungen von Margarete Koppers. Wir werden in Zukunft noch weniger Personal haben als jetzt, da ab 2020 größere reguläre Pensionierungswellen bevorstehen.“ AfD-Innenexperte Karsten Woldeit sagt: „Dieser massive Stellenabbau geht einher mit einem enormen Verlust an Wissen und Erfahrung. Es ist dem Engagement und dem hohen Berufsethos der Beamten zu verdanken, daß sie die politischen Fehler noch kompensieren können.“

Ist Berlin ein Einzelfall? „Überall im Bundesgebiet wurde an der Polizei gespart, bundesweit 17.000 Beamte“, sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der DPolG, gegenüber der jungen freiheit, „aber die Berliner Polizei ist schon in einer besonderen Situation. Sie ist kaputtgespart worden.“ Für Wendt sind dafür zwei Personen hauptverantwortlich: Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit und sein damaliger Finanzsenator Thilo Sarrazin. „Jetzt haben wir die Ergebnisse der Sparpolitik zu Beginn des Jahrtausends. Allein bei den Polizeigebäuden haben wir in Berlin einen Finanzierungsrückstau von einer Milliarde Euro, die Kollegen haben seit neun Jahren keine Besoldungserhöhung bekommen.“ Wendt fordert, die Polizei wieder attraktiv zu machen: „Der Ruf der Berliner Polizei hat gelitten. Das muß sich ändern. Wir brauchen gute Bewerber, denn die Hauptstadt wächst.“





Nachwuchsgewinnung in EU-Staaten

Personalgewinnung in Zeiten von Bewerber- und Fachkräftemangel steht nicht nur bei der Bundeswehr, sondern  auch bei der Polizei hoch im Kurs. Für Aufsehen sorgt in Berlin die neue Polizeipräsidentin Barbara Slowik mit ihrem Vorschlag, auf  Bewerber aus dem EU-Ausland zurückgreifen zu wollen. „Bei der Gewinnung geeigneten – und ich betone ausdrücklich geeigneten – Nachwuchses darf es keine Denkverbote geben. Es bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen, um den großen Bedarf an Nachwuchs, den die Polizei Berlin aufgrund massiver Altersabgänge hat, zu decken. Das ist eine Überlegung. Die werden wir prüfen“, erklärte Slowik. „Klar“ sei dabei, daß zunächst die Rahmenbedingungen für alle  Bewerber interessant sein müßten: „Die Attraktivität als Arbeitgeber muß gesteigert werden.“ Der Blick von potentiellen Bewerbern falle eben zuerst auf das Gehalt, die Ausstattung sowie auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Das sei unstrittig, und „man“ habe verstanden, ergänzt die Polizeipräsidentin.