© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Blutiges Gekröse im Schmelztiegel
Familiendrama: Damian John Harper zeigt mit seinem Kinofilm „In the Middle of the River“ betörend schöne Bilder von schrecklichen Verhältnissen
Sebastian Hennig

Sein Langfilm-Debüt „Los Ángeles“ (JF 6/15) hat der in Berlin lebende Damian John Harper im Süden Mexikos mit Laiendarstellern gedreht. Nun folgt ein weiterer Indianerfilm. Das Drehbuch zu „In the Middle of the River“ brachte ihm den Förderpreis Neues Deutsches Kino ein. Diesmal leuchten die dunkelbunten Bilder der Gewalt aus der Navajo Nation Reservation in New Mexico. Die irritierende Handkamera wurde beibehalten. Daß sie noch weit hektischer um die Protagonisten kreist als bisher, hat mit dem Milieu zu tun. Eine Rezensentin schrieb, Harper beiße tief in das Fleisch der US-Gesellschaft hinein. Er geht jedoch weiter, indem er den Deckel des vielbeschworenen Melting Pot lüpft. Dabei zeigt sich, welch blutiges Gekröse in dem Tiegel schmort. Dagegen war das indigene Milieu in Harpers vorigem Film nahezu idyllisch. Die multi-aggressive Grützwurst macht er genießbar durch die Gewürze seiner Bildästhetik und Dramaturgie.

Der Fluß in Harpers Film ist derselbe, nach dem John Ford 1950 seinen Kavallerie-Western „Rio Grande“ betitelte. Rettende Reiterei bleibt diesmal aus. Der Dunst verwandelt den morgendlichen Fluß in einen brodelnden Phlegethon. Im ersten Teil des Films ist die Temperatur der Bilder durch den fahlen Schein bestimmt, mit dem das Kunstlicht von Autoscheinwerfern, Straßenlaternen, einer Tankstelle und der Wohnungsbeleuchtung sich durch die Nacht ätzt. Keine Set-Beleuchtung mildert hier die Umstände. Wo Natur noch erfahrbar bleibt, wird sie als untröstlich empfunden. Sie bildet ein metaphorisches Echo auf die Verzweiflung der Menschen.

Doch auch ein großartiges Symbol der Umkehr taucht darin auf: Als Gabriel (Eric Hunter) sich am Grab seiner Schwester mit einer zersplitterten Schnapsflasche den Puls zerfetzen will, hört er die Graugänse über sich. Er schaut auf, und der Anblick des makellosen Zugs der Vögel hat den Fluch gelöst.

Mit seinem afroamerikanischen Schwager Samuel (Andre L. Burch) wollte Gabe eine Drogenküche etablieren. Warum ihnen die eines Tages um die Ohren fliegt, erfährt er erst am Schluß. Samuel landete jedenfalls im Gefängnis, Gabriel im Krankenhaus. Anschließend mußte er sich als Soldat im Irak bewähren, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Stattdessen aber gleicht er einem Grund, auf dem überhaupt kein Gras mehr wächst.

Gabriel läßt sich gegen seinen Großvater aufhetzen

Gabriels Zwillingsschwester wurde unterdessen tot am Fluß aufgefunden. Verstört und medikamentenabhängig kehrt er heim. Seine Aggression vermag er nicht zu bändigen. Den vierschrötigen Gangster Triggerfinger (Matthew T. Metzler) fällt er gleich zu Beginn wie ein wildes Tier an. Er verdächtigt ihn, sich an seiner Ex-Freundin Dana (Nikki Lowe), die während seiner Abwesenheit vergewaltigt wurde und nichts mehr mit ihm zu tun haben will, vergriffen zu haben. Eine Aufklärung der Verbrechen wird behindert durch die Zuständigkeit der wirkungslosen indianischen Selbstverwaltung auf deren Territorium.

Gabriel will, getreu dem verschnörkelten Schriftzug „Carpe Diem“ auf seiner Brust, ein Studium der Politik aufnehmen. Triggerfinger versucht ihn als Drogenkurier in seine Netze wieder einzuspinnen. Unterdessen wird Gabriels jüngerer Bruder Ishmael von Altersgenossen, unter denen sich auch Triggerfingers Sohn befindet, in einen schmutzigen Rassenkrieg zwischen Navahos und Latinos gezogen. Der schmächtige Knabe will sich beweisen. Die Jungs markieren den dicken Max mit Waffen und Drogen. Während Triggerfinger im Valiumrausch auf dem Sofa hängt, drehen sie ein Video mit Kampftänzen. 

Fünf Kinder und Frauen scharen sich im Haus. Ab und an kommt der verbummelte Großvater Laurence (Max Thayer) vorbei. Und wenn dann Uropa Uroma schlägt, ist die Familie beisammen. Es gibt aber auch das häusliche Idyll. Dann singt die Schwester zur Gitarre, Opa spielt mit den badenden Kindern, während Oma lächelnd zuschaut.

Auf Gabriel ruht die Hoffnung der Frauen und Kinder. Statt aber die Fragmente der Familie zu fügen, läßt er sich gegen seinen Großvater aufhetzen. Bei einem Gefängnisbesuch hat Samuel ihm den Floh ins Ohr gesetzt, der Opa hätte Gabriels Zwillingsschwester erst mißbraucht und dann getötet. Als der Alte wieder einmal brutal wird, weil er im Kühlschrank keine Milch findet, treibt ihn der Enkelsohn mit einem Warnschuß aus der Wohnung und erntet dafür die Mißbilligung der Großmutter. Gabriel faßt den Vorsatz, seinen Großvater zu töten, und kommt ihm dabei ungewollt nahe bis zur Selbsterkenntnis. Der Vietnam-Veteran Laurence wird vom Film-Veteranen Max Thayer überzeugend gespielt. Er erzählt seinem Enkel, wie er bei der Armee von einem farbigen Mitsoldaten eine lebensrettende Karte zugesteckt erhielt, die nur die Aufschrift trug: „Im Falle eines Aufstands ist der Besitzer dieser Karte ein Ehrenneger.“ 

Harpers Film vermittelt keine Lust am Verderben. Er zielt nicht auf Miserabilismus. Die filmische Bannung der unhaltbaren Zustände ist vielmehr ein kongenial verzweifelter Anlauf, ihnen damit vielleicht doch zu entkommen. Pardon aber wird nicht gegeben. „In the Middle of the River“ hält die Balance zwischen eitler Hoffnung und hoffnungslosem Verfall. Dabei ist es wenig tröstlich, daß seine Helden zwar schlecht, aber nicht böse sind. Die bloßen Bilder entzaubern einige falsche Mythen und verweisen auf den ungebrochenen Zauber der echten.