© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Die Abfahrt längst verpaßt
„Spurwechsel“: Asylverfahren und Wirtschaftsmigration sollen vermischt werden
Michael Paulwitz

Der Einfallsreichtum deutscher Politiker beim Ausdenken von schönfärberischen Euphemismen für fragwürdige Gesetze und Verordnungen kennt keine Grenzen. „Spurwechsel“ heißt das neueste Produkt dieser politischen Falschmünzerei. Dahinter verbirgt sich nach den Vorstellungen des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther, der den Begriff ins Spiel gebracht hat, daß auch abgelehnte Asylbewerber, sofern sie denn „gut ausgebildet“ und „integriert“ seien, nachträglich noch „regulär zuwandern“ können sollen.

Der Kieler „Schwampel“-Ministerpräsident erweist sich damit als gelehriger Erfüllungsgehilfe seiner Kanzlerin, die ja die Parole ausgegeben hat, aus Illegalität endlich Legalität zu machen. Nachwuchskraft Günther hat Merkels „Nun sind sie halt da“-Wurschtigkeit verinnerlicht. Sein Vorstoß ist geeignet, unter dem Deckmantel des Pragmatismus die Grenzen zwischen Asylverfahren und Wirtschaftsmigration vollends einzureißen und das Tohuwabohu aus willkürlicher Anwendung und absichtlicher Mißachtung geltender Gesetze in der Einwanderungspolitik auf die Spitze zu treiben.

Denn natürlich ist die als „Spurwechsel“ umschriebene Option nichts anderes als eine Ermunterung zum weiteren Mißbrauch des Asylrechts zur Sozial- und Wirtschaftsmigration. Damit öffnet sich schlicht eine weitere Hintertüre, einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu ergattern, sofern einer es nur hierher geschafft hat. 

Das wissen natürlich auch die Befürworter dieses Vorschlags; neben großen Teilen der CDU klatscht vor allem Koalitionspartner SPD kräftig Applaus. Deren Fraktionsvize Eva Högl regt eine „Stichtagsregelung“ als Placebo für den Magneteffekt an: der „Spurwechsel“ solle nur denen ermöglicht werden, die bereits im Lande sind. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz (CDU) ist für eine solche Regelung. Dabei wissen beide natürlich genau, daß solche Vorbehalte unter dem Druck der Lobbyisten üblicherweise über kurz oder lang aufgegeben werden. 

Die Wirtschaftslobby, immerhin, ist über Günthers Vorschlag gespalten. Während der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) Hans Peter Wollseifer darauf anspringt und die „Interessen des Handwerks“ an der Ausbildung der künftigen „Fachkräfte“ gewahrt wissen will, blickt der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Oliver Zander, etwas weiter. Wenn man künftig zulasse, daß „ein abgelehnter Asylbewerber über die Hintertüre des Fachkräfte-Zuwanderungsgesetzes bei uns bleiben darf, würde der Eindruck entstehen, daß es völlig egal ist, ob ein Asylbewerber abgelehnt wird oder nicht“, stellt er zutreffend fest. Das sei töricht und könne das ganze „Projekt“ eines Einwanderungsgesetzes gefährden.

In den „Eckpunkten“, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für ein solches Einwanderungsgesetz vorgelegt hat, steht vom „Spurwechsel“ zwar noch nichts drin. Aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Über Seehofers vage Ankündigung, man wolle „Potentiale der Flüchtlinge“ nutzen, werde man das schon noch hineinbekommen, meint Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD. Die CSU sträubt sich zwar noch gegen den Günther-Vorschlag, aber bis zur Landtagswahl in Bayern sind es ja auch nur noch zwei Monate.

Haarsträubend ist, wie bedenkenlos Politik und Wirtschaft in der Auseinandersetzung um Einwanderung auf den Arbeitsmarkt Menschen wie Ziffern hin und her schieben, ohne auf Herkunft und Mentalität, kulturelle Kompatibilität und soziale Verträglichkeit zu achten.

Gerade Handwerker und Mittelständler sollten im Grunde wissen, daß zur Aneignung von Arbeitsethos und Betriebskultur mehr gehört als ein Aufenthaltstitel und – mehr oder minder gute – Sprachkenntnisse. Während man sich am eher seltenen Fall eines ausbildungswilligen und -fähigen außereuropäischen Einwanderers abarbeitet und diesem alle Steine aus dem Weg räumen möchte, bleiben die naheliegenden Probleme und Potentiale unbeachtet.

An einheimischen jungen Leuten ohne Berufsabschluß herrscht nämlich kein Mangel. Ihnen sollte eigentlich das Hauptaugenmerk jeder Arbeitsmarktpolitik gelten. Ebenso den Millionen an einheimischen Arbeitslosen – den offenen wie den in allerlei „Maßnahmen“ und statistischen Trickkisten versteckten. Sie werden von den Lobbyisten in Politik und Unternehmen, die auf die Anwerbung von „Fachkräften“ aus aller Welt fixiert sind, regelrecht im Stich gelassen.

Zu denken geben sollte auch, warum sich im EU-Ausland, trotz teilweise hoher dort herrschender Arbeitslosigkeit, nicht mehr und leichter integrierbare Fachkräfte anwerben lassen. So drängt sich der Verdacht auf, daß in erster Linie Lohndrückerei im Spiel ist, wenn eine gemessen an den tatsächlichen Beschäftigungszahlen eher marginale Gruppe dermaßen hofiert wird.

Asylgewährung aus humanitären Gründen und Migration aus ökonomischen Gründen sind grundverschiedene Dinge. Politik und Wirtschaft täten gut daran, die beiden Bereiche wieder sorgfältig zu trennen, statt sie noch weiter zu vermengen. 

Und vor allem: Bevor nicht der millionenfache Mißbrauch des Asylrechts zur illegalen Einwanderung in den Sozialstaat abgestellt ist und Migranten, die sich unberechtigt in Deutschland aufhalten, nicht konsequent abgeschoben werden, ist jede Debatte über Fachkräfteanwerbung aus anderen Ländern müßiges Geschwätz, das keine Probleme löst, sondern lediglich von kapitalem Versagen ablenken soll.