© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Völlig neben der Spur
Einwanderungsrecht: Politiker fordern Bleiberecht für abgelehnte Asylanten
Peter Möller

Wenn sich politische Grundsatzdebatten auf einen plakativen Begriff reduzieren lassen, kommt die Diskussion meist erst so richtig in Schwung. Bestes Beispiel ist der aktuelle Streit um den sogenannten Spurwechsel, also die Möglichkeit, daß abgelehnte aber geduldete Asylbewerber, die zudem als gut integriert gelten, als Einwanderer in den Arbeitsmarkt wechseln. Dieser plakative Begriff dominiert seit Tagen die in der vergangenen Woche von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU) losgetretene Debatte über ein Einwanderungsgesetz.

Am Sonntag hatte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sich im Sommerinterview mit dem ZDF vehement für den Spurwechsel ausgesprochen und angekündigt, diesen zum Thema in der Großen Koalition zu machen. Postwendend kam am Montag die Antwort aus dem Konrad-Adenauer-Haus: Die CDU lehnt einen Wechsel von abgelehnten, aber geduldeten Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt ab, teilte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer nach der Präsidiumssitzung ihrer Partei mit. Das würde bedeuten, daß das Asylrecht „zu einer Art Ersatzzuwanderungsrecht“ gemacht würde, sagte sie zur Begründung. Damit erteilte die CDU-Spitze auch dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU), eine deutliche Abfuhr. Günther hatte den Spurwechsel Anfang vergangener Woche in einem Interview ins Gespräch gebracht.

Auch die Wirtschaft zeigte sich wenig begeistert von Günthers Vorstoß, durch den sie das von ihr seit langem geforderte Einwanderungsgesetz grundsätzlich gefährdet sieht. „Wenn wir künftig erlauben würden, daß ein abgelehnter Asylbewerber über die Hintertüre des Fachkräfte-Zuwanderungsgesetzes bei uns bleiben darf, würde der Eindruck entstehen, daß es völlig egal ist, ob ein Asylbewerber abgelehnt wird oder nicht“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Oliver Zander, der Augsburger Allgemeinen. Noch deutlicher äußerte sich die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA): „Es muß gelten: Wer die Voraussetzungen für Asylgewährung nicht erfüllt, muß die Ablehnungsentscheidung so schnell wie möglich erhalten und dann auch so schnell wie möglich Deutschland wieder verlassen“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter der Neuen Osnabrücker Zeitung. Damit liegt er auf einer Linie mit AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der sich ebenfalls gegen die Möglichkeit eines Spurwechsels und für mehr Abschiebungen ausgesprochen hatte. „Wir müssen klarmachen, daß jeder Asylbewerber, dessen Antrag abgelehnt wurde, Deutschland ohne Wenn und Aber auf dem schnellsten Weg wieder verlassen muß“, forderte Gauland.

Zuversichtlich, daß der „Spurwechsel“ kommt

Die SPD nutzte Günthers Vorlage dagegen ausgiebig, um für einen Spurwechsel zu werben. „Es kann nicht sein, daß fleißige Pflegekräfte oder Handwerker aus ihren Betrieben gerissen und abgeschoben werden,“ verdeutlichte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Position seiner Partei in der Rheinischen Post. „Wir wollen ein Einwanderungsgesetz, daß Menschen, die hier arbeiten und sich integrieren, eine Chance gibt, hier zu bleiben.“

Daß ein Einwanderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode kommt, ist in der Koalition unbestritten. SPD und Union hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag auf ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte noch im Jahr 2018 geeinigt. Aus diesem Grund hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) unter dem etwas sperrigen Titel „Eckpunkte zum kohärenten Ansatz Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ in der vergangenen Woche ein sechs Seiten umfassendes Positionspapier mit Vorschlägen präsentiert, wie qualifizierten ausländischen Fachkräften der Zuzug nach Deutschland erleichtert werden könnte. Ein wichtiger Punkt, der noch für reichlich Diskussionsstoff sorgen dürfte, ist dabei der grundsätzliche Verzicht auf die Vorrangprüfung. Einheimische Bewerber müssen damit künftig bei der Besetzung einer offenen Stelle gegenüber Einwanderern nicht mehr bevorzugt werden.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte Ende Juli die Möglichkeit ins Spiel gebracht, Bewerber aus besonders nachgefragten Berufen eine befristete Einreise zu gestatten, damit sie sich hier eine Arbeitsstelle suchen können. „Ich kann mir vorstellen, daß Pflegekräfte aus dem Ausland für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen und sich hier Arbeit suchen“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Sollte ihnen das nicht gelingen, müssen sie nach Ablauf der Zeit wieder zurück. Der Bezug von Sozialleistungen muß natürlich ausgeschlossen sein“, hatte er versichert. Diese Punkte finden sich nun auch in Seehofers Eckpunkten für das Einwanderungsgesetz.

In den zuständigen Ministerien wird bereits fieberhaft daran gearbeitet, die unterschiedlichen Vorschläge aus den Reihen der Koalition zum Einwanderungsgesetz unter einen Hut zu bekommen und eine Lösung im Streit um den Spurwechsel zu finden. Zwar machte die Sprecherin des Innenministeriums, Eleonore Petermann, am Montag noch einmal deutlich, daß das Ministerium gegen eine Vermischung von Fragen der Zuwanderung durch Asyl und durch Arbeitsmigration sei, da sich die Einwanderung dadurch nicht wie gewünscht besser steuern ließe. Gleichzeitig betonte sie, es gebe bereits im Aufenthaltsgesetz „mehrere Formen der Erwerbstätigkeit auch von Geduldeten, die schon eine ganze Reihe von Jahren hier leben und bestimmte Voraussetzungen erfüllen“. Ergänzend dazu hieß es aus dem Arbeitsministerium mit versöhnlichem Unterton, Minister Heil sei zuversichtlich, daß es beim Spurwechsel zu praktischen Lösungen kommen werde.

Damit scheint klar: Trotz aller sommerlicher Aufregung wird das Einwanderungsgesetz am Begriff des Spurwechsels kaum scheitern. Es wird sich schon eine weniger plakative Bezeichnung finden.