© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Diskussion um die finanzielle Rettung des Nato-Partners Türkei
Katar überholt Nahles
Thomas Kirchner

Andrea Nahles will die Türkei aus wirtschaftlichen Gründen mit deutschen Steuergeldern stabilisieren. Ihr Vorvorgänger als SPD-Chef, Sigmar Gabriel, argumentiert: Das Nato-Mitglied müsse im Westen gehalten werden, sonst drohe langfristig sogar die atomare Bewaffnung der Türkei.

Das Emirat Katar ist beiden einen Schritt voraus: 15 Milliarden Dollar wolle man in den Finanzsektor der „Brüder in der Türkei“ investieren, so Scheich Emir Al-Thani. Eine „starke und produktive Wirtschaft“ habe die Türkei. Doch derzeit ähnelt Ankaras Strategie der Venezuelas: Verringerung der Inlandsnachfrage zur Verbesserung des Handelsdefizits in Verbindung mit Einschränkungen im Devisenhandel. Das ist eine riskante Strategie. Der türkischen Wirtschaft wird jetzt der Erfolg der vergangenen zwei Jahrzehnte zum Verhängnis: ein staatlicher Investitionsboom hat das Pro-Kopf-Einkommen vervierfacht, doch nach Jahren mit sieben Prozent Wachstum liegt das Handelsdefizit bei sieben Prozent, und die Auslandsverschuldung beträgt mehr als 53 Prozent der Wirtschaftsleitung (JF 34/18).

Die Ausgangslage war also nicht gut, als die US-Zentralbank Fed ihre lockere Geldpolitik aufgegeben hat. Seitdem werden in Schwellenländern die Dollar knapp. Verzweifelt warnte Anfang Juli der indische Zentralbankgouverneur Urjit Patel die Fed vor Chaos in Schwellenländern. Die Türkei ist nun Opfer Nummer eins. Das Faß zum Überlaufen brachte der Streit um den US-Pastor Andrew Brunson (JF 34/18). Spielraum für einen Zollstreit mit Washington hat die Türkei nicht. Schätzungen zufolge braucht das Land bis zu 200 Milliarden Dollar pro Jahr, um fällige Schulden und das Handelsdefizit von über 50 Milliarden Dollar im Jahr zu finanzieren. Wie im Vorfeld der Asienkrise 1997/98 haben Banken und Firmen sich billig in Dollar finanziert, auch durch islamkonforme Sukuk-Anleihen bei Anlegern am Persischen Golf.

Katar investiert nicht zufällig 15 Milliarden, denn allein an Anleihen werden 16 Milliarden Dollar bis Ende 2019 fällig. Inwiefern türkische Banken auf Kreditlinien im Interbankenmarkt angewiesen sind, die jetzt vermutlich gekürzt werden, ist nicht klar. Zu achten wäre auf die nächsten größeren Fälligkeiten von Anleihen am 10. Oktober von zwei Milliarden Dollar des Finanzhauses Türkiye Is Bankas? und der Immobiliengesellschaft Hazine Müstesarl?g? Varl?k. Angesichts des Kursverfalls der Lira von 4,5 auf über sechs Dollar seit Anfang Juli verteuert sich die Rückzahlung aller Auslandsschulden um ein Drittel. Die Krise hat also erst begonnen. Bleibt die Frage, ob Nahles auch deutsche Gelder einsetzen würde, sollten Ungarn oder Polen in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Auch diese beiden Länder gelten wegen hoher Auslandsschulden als potentielle Krisenkandidaten.

Qatar Investment Authority (QIA): www.qia.qa