© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Die Kluft wächst
Publizistik: Trotz schwindender Glaubwürdigkeit behaupten etablierte Medien ihre Machtposition
Thorsten Hinz

Die Befunde sind eindeutig: Die Quartalszahlen der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) konstatieren den permanent sinkenden Absatz der Tageszeitungen und Wochenmagazine. Die Einschaltquoten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehen zurück. Die Unabhängigkeit der Presse ist als Mystifikation entlarvt, die Einbettung der Alpha-Journalisten in politische, auch transnationale Strukturen nachgewiesen, die Mechanismen der versteckten Meinungssteuerung sind offengelegt. Der Zusammenhang zwischen Skandalisierungsschüben, rot-grüner Gesinungstreue und zunehmende Bildungsferne der involvierten Journalisten liegt auf der Hand. Das Ansehen des Berufsstandes hat sich auf dem Niveau von Trickbetrügern eingependelt. Zugleich gibt es interne Berichte, welche die Redaktionen als Zwangs- und Angstgemeinschaften beschreiben,

Parallel dazu wandern Medien-Konsumenten ins Internet ab, wo die Zahl und Qualität alternativer Blogs und Foren wächst. Die Arbeit der Etablierten wird überprüft, kommentiert, kritisiert, widerlegt. Hier findet man neben unterdrückten Informationen oft auch die besseren Autoren und die gründlicheren Analysen. Das führt dazu, daß die Journalisten der etablieren Medien ihre Torwächter-Funktion einbüßen und die relevanten Themen an ihnen vorbei in die Allgemeinheit geraten.

Taktische Rückzüge, retardierende Momente

So eindeutig der Befund, so verwirrend die Folgerungen.Von einer medialen Schub- oder Beweislastumkehr, einem Verlust der kulturellen Hegemonie gar, kann trotzdem keine Rede sein. Die Etablierten treten zwar taktische Rückzüge an, denen aber umgehend retardierende Momente folgen, die den fälligen Gezeitenwechsel zu einer qualvoll langsamen Angelegenheit machen. So gibt es offenherzige Beiträge darüber, wie die Migration die Bildungseinrichtungen ruiniert, was für ein Land, dessen relativer Wohlstand ausschließlich auf seiner Leistungsfähigkeit und inneren Befriedung beruht, auf längere Sicht eine Katastrophe darstellt. Prompt werden Gutachten vorgestellt, wonach Murat bei gleicher Leistung schlechtere Noten als Max erhält, oder es werden Studien lanciert, die den Rückbau sprachlicher Fähigkeiten zum Diversitätsgewinn umdeuten. So werden notwendige politische Debatten auf tote Nebengleise abgeschoben.

Die etablierten Medien sind weiterhin im strategischen Vorteil, denn im Unterschied zu den alternativen Medien, die vor allem reaktiv und in der Breite höchstens als Sekundärquelle agieren, sind sie kampagnenfähig. Das zeigte sich zuletzt bei der „Refugees welcome“-Kampagne, dem genderistischen „MeToo“-Feldzug und der vorgeblich antirassistischen „MeTwo“-Debatte. Die Alternativ-Medien können korrigierend eingreifen, aber keine eigenen Themen setzen.

Sarrazins Buch hat die Politik kaum berührt

Der Etablierung eines Gegendiskurses am nächsten kam 2010 Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“. Die Umstände waren allerdings besondere: Als SPD-Mitglied und Bundesbank-Vorstand gehörte Sarrazin dem Establishment an. Als Berliner Finanzsenator hatte er durch eiserne Haushaltspolitik und dank seiner aphoristischen Begabung bundesweite Bekanntheit erlangt. Die Zeit verglich ihn mit den soliden preußischen Staatsräten. Mehr Reputation als mediales Startkapital war kaum möglich.

Doch trotz maximal günstiger Ausgangsposition, der Brisanz des Themas, der unwiderlegbaren Fakten und akkuraten Argumentation war die Darstellung in den Medien von Verzerrung, Unterstellung und persönlicher Diffamierung geprägt. Binnen kurzer Zeit war der Name des Autors negativ konnotiert. Obwohl millionenfach verbreitet, hat das Buch den öffentlichen Diskurs und erst recht die Politik so gut wie nicht berührt. Fünf Jahre danach verschärfte Merkel mit der Grenzöffnung den Trend zur Selbstabschaffung deutlich.

Obwohl „rechte“ Themen gewissermaßen auf der Straße liegen, können sie in der Medienöffentlichkeit kaum offensiv vertreten werden. Kritiker sehen die Gründe dafür in professionellem Ungeschick, rhetorischen Fehlgriffen, einem ausgestellten Opferhabitus, in mangelnder Distanzierung von extremistischen Irrläufern, im elitären und kulturpessimistischen Habitus. Doch das alles – und noch viel mehr –  trifft genauso auf die Gegenseite zu. Ist denn mehr Kulturpessimismus und -negation denkbar als die Austreibung des Weißen Mannes, des weltgeschichtlichen Kulturträgers schlechthin?

Jedenfalls kann damit nicht erklärt werden, warum der geistige Schwächeanfall des Ehepaars Münkler „Die neuen Deutschen“ ausgiebig und wohlwollend rezipiert wurde, während Rolf Peter Sieferles unendlich profunderes „Migrationsproblem“ ein Geheimtip geblieben ist.

Der Grund liegt hier: Die Auflagen mögen einbrechen, die Einschaltquoten sinken. Dennoch bleiben die etablierten Zeitungen und vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien die entscheidenden Bezugsgrößen. Das hat mit der Macht der Gewohnheit zu tun, aber auch mit der Tatsache, daß sie im Unterschied zu den alternativen Medien über die Ressourcen verfügen, um als Primärquelle von Informationen zu fungieren. Der Arzt, der Busfahrer, der Facharbeiter, die Verkäuferin, der ganze gesellschaftliche Mittelbau, der das Land einigermaßen funktionsfähig hält, hat nach einem harten Arbeitstag weder Zeit noch Kraft, um sich ausgiebig im Dschungel des Internets zu orientieren.

Die anhaltende Verbindlichkeit der etablierten Medien bedeutet nicht, daß ihre Glaubwürdigkeit ungebrochen wäre. Viele Medienkonsumenten verspüren die Kluft, die sich zwischen den Medien- und der erfahrbaren Wirklichkeit auftut, täglich am eigenen Leibe. Sie wissen oder ahnen, daß es sich um Propaganda-Instrumente beziehungsweise Sprachrohre eines mächtigen politisch- medialen Komplexes handelt. Doch weil der mündig-kritische Bürger eine Fiktion und der autoritätsfixierte Deutsche die Realität ist, ergibt sich daraus statt Emanzipation vielfach eine neue Form der Abhängigkeit, die an den Verkündigungsanspruch realsozialistischer Staatsmedien erinnert. Durch ARD, ZDF, Spiegel und Zeit erfährt der Bürger, was er zu tun, zu sagen und am besten auch zu denken hat, um konfliktfrei durch den Alltag zu kommen.

Es gibt keinerlei Interesse an Argumenten

Die Medien appellieren an das „Über-Ich“ und aktualisieren es: jene psychische Struktur, in der soziale Normen, Werte, Gehorsam, Moral und Gewissen erworben, die Werte und Beschränkungen der Gesellschaft verinnerlicht werden. Sie repräsentieren, was Heidegger das Man nennt: „In dieser Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur. Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ‘großen Haufen’ zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden empörend, was man empörend findet.“ Und wir hüten uns davor, nach „rechts“ abzurutschen, weil man dekretiert, daß „rechts“ keine Meinung, sondern ein Verbrechen sei.

Das „Man“ mag im Einzelfall kritisiert werden, doch als Ganzes in Frage gestellt wird es nicht. Denn damit wäre die virtuelle Grenze zur kognitiven Dissonanz überschritten, die ähnliche Ängste auslöst wie bis 1989 die realen Grenzabsperrungen der DDR. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie die etablierte Medienmacht ungebrochen bleibt.

Auf positive Veränderungen aus den Innereien des Medienbetriebs ist nicht zu hoffen. Das Ideal des herrschaftsfreien Diskurses – die Gleichberechtigung der Kommunikationspartner, gleiche Möglichkeit sich zu äußern, die symmetrische Situation und die Entscheidung durch den Zwang des besseren Arguments – ist vorsätzlich ins Gegenteil verkehrt. Es gibt keinerlei Interesse am Argument, es geht um die Demonstration der Staatsideologie und der Machtposition. Sonst würden Figuren wie Claudia Roth oder Katrin Göring-Eckardt („Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt“) nicht als Dauergäste die öffentlich-rechtlichen Talkshows okkupieren dürfen. Ihr nicht mehr unterschreitbares Niveau ist zigmal beschrieben, analysiert, karikiert worden, und trotzdem werden sie und nicht ihre klügeren Kritiker in der nächsten Talkshow sitzen. Das gleiche gilt sinngemäß für die meisten anderen Medien. Die Tautologie des Irrsinns, die hier herrscht, ist darauf angelegt, eine politische Realität zu zementieren und bei Andersdenken das Gefühl von Vergeblichkeit zu erzeugen. Der Versuch einer Debatte ist daher sinnlos.

Entscheidend für die gegenwärtigen Machtverhältnisse im Diskursraum ist nicht die Qualität der Argumente, sondern – marxistisch gesprochen – das ungleich verteilte Eigentum an den medialen Produktionsmitteln. Sie können nur verändert werden, wenn es gelingt, ausreichend Ressourcen zu mobilisieren, um auch in quantitativer Hinsicht echte Gegenmedien zu schaffen, die für die Konsumenten zur primären Informationsquelle werden und schließlich durch das bessere Argument Überzeugungskraft und eigene Verbindlichkeiten erzeugen. Dafür braucht es Millionen und Abermillionen. Vielleicht weisen die Pläne Steve Bannons, in Europa eine Stiftung „The Movement“ zu gründen, in die richtige Richtung. Ästhetisch begründete Skrupel können wir uns nicht mehr leisten. Das Fenster der Möglichkeiten ist schon beinahe zu.