© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Ein literarischer Gauguin
Zum 100. Todestag: Eine Erinnerung an den Schriftsteller und „lyrischen Stimmungsmaler“ Max Dauthendey
Wolfgang Müller

Wilhelm II. konnte nicht stillsitzen. Der deswegen im Volksmund so titulierte „Reisekaiser“ schien daher geradezu prädestiniert zum Lenker einer angeblich „nervösen Großmacht“ (Volker Ullrich) wie auch zum Repräsentanten seiner Epoche, des „Zeitalters der Nervosität“ (Joachim Radkau). 

Die besser gestellten seiner psychisch ähnlich disponierten Untertanen taten es ihm nach. Vom Reisefieber gepackt, brachen sie um 1900 herum dem Massentourismus Bahn. Während sich wilhelminische Bürger indes mit Nord- und Ostsee begnügten, strebte der Nachwuchs auf der Flucht vor ihren im stählernen Gehäuse der Moderne gefangenen elterlichen „Brotberuflern“ oft viel weiter weg. 

Gottfried Benn hielt diesen nicht nur deutschen Exotismus allerdings nicht für derart profan motiviert, sondern feierte ihn als Versuch, europäische Kunst in den Tropen zu regenerieren, um die „geistige Intensität“ und „spirituelle Spannung“ des alten Kontinents weiter zu steigern: „Gauguin auf Tahiti, Matisse in Marokko, Nolde in Rabaul, Dauthendey in Java ...“ Gauguin und Matisse? Kennt jeder Gebildete. Und auch Emil Noldes 1913/14, während einer Reise in die „deutsche Südsee“ entstandenen Gemälde sind im kollektiven Bildgedächtnis präsent. Aber wer ist Dauthendey?

Lexikalisch kurz gefaßt: ein literarischer Impressionist, geboren 1867 in Würzburg, gestorben vor hundert Jahren, am 29. August 1918 auf Java in Niederländisch-Indien, heimweh- und malariakrank, nach vierjähriger, luxuriöser Internierung. Max Dauthendeys Tagebücher und Briefe aus dieser Zeit, darunter die suggestive Schilderung eines im Mai 1917 auf der Tour zum Vulkan Semeru genossenen sechstägigen Höhenrausches, gehören zu dem Teil des Œuvres, der bleiben wird. Allen jüngeren, germanistisch drapierten Attacken zum Trotz, die sie, ebenso wie die ostasiatische Reiseerfahrungen verarbeitende erzählerische Prosa des „literarischen Gauguin“ wegen „eurozentrischer, kolonialistischer und rassistischer Perspektiven“ denunzieren.

Aber auch das übrige, vergessene Werk des kosmopolitischen „Farbenschwelgers“ und pantheistischen Schwärmers der „Weltfestlichkeit“ belohnt die Lektüre. Und zwar mit tiefen Einsichten in die Mentalitätsschichten wilhelminischer Dekadenz, mit ihrer apolitischen „Neutralisierung des Daseins und der Auflösung des großen Wollens“ (Christoph Steding) in Spiel und Stimmung.