© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Nachwuchssorgen im Fleischerladen
Unbesetzte Lehrstellen: Metzgereibetriebe beklagen einen Mangel an Auszubildenden
Claus-M. Wolfschlag

Knapp 49.000 Lehrstellen blieben 2017 in Deutschland unbesetzt, die höchste Zahl seit Anfang der 1990er Jahre. Zu den unbeliebtesten und langsam aussterbenden Berufen scheint der Fleischer zu gehören. Über 30 Prozent betrug 2017 der Anteil der unbesetzten Ausbildungsstellen am betrieblichen Gesamtangebot. Schweinehälften zerteilen und verwursten sowie blutige Tische säubern gehört eben nicht zu den Lebenszielen junger Bundesdeutscher. An diesem Trend ändern auch die hippen BBQ- und Burgerläden, die sich in den Großstädten breitmachen, wenig.

Vor einigen Wochen zog die zuständige Berliner Innung angesichts des Lehrlingsmangels die Reißleine und schloß ihre Fachschule. Kamen in den Neunzigern pro Jahr noch bis zu 1.200 Lehrlinge aus Berlin und Brandenburg, waren es zuletzt noch 190. Für die verbliebenen Berliner und Brandenburger Auszubildenden wird es dort nun noch schwerer, ihre Berufsprüfungen abhalten zu können: Sie müssen nach Leipzig fahren.

Gewerkschafter kritisieren vor allem die niedrigen Löhne in der Branche.  DGB-Vorsitzende Elke Hannack beklagte einen „rüden Umgangston“. Unternehmen würden zudem eine „Bestenauslese“ betreiben und Hauptschülern keine Chance geben. Elisa­beth Krekel vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) bezeichnete solche Verdrängungsmechanismen als überbewertet. Generell wäre in vielen Firmen für alle Platz. Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband und der Zentralverband des Handwerks weisen diese Vorwürfe zurück. Vielmehr zögen viele potentielle Azubis heutzutage ein Studium der handwerklichen Ausbildung vor. 

Die Erfahrung lehrt: Übrig bleiben danach nicht selten solche, die aufgrund charakterlicher Unzuverlässigkeiten wenig geeignet für die Absolvierung einer Lehre sind. Fakt ist, daß jeder zweite Azubi das Arbeitsverhältnis noch in der Probezeit beendet. Mitentscheidend im Fleischerhandwerk dürfte die zunehmende Entfremdung der modernen Menschen von der Nahrungsmittelproduktion sein.

Das Schnitzel wird nur als paniertes Oval wahrgenommen, der letzte Besuch eines Bauernhofs fand in der Kindheit statt. Allenfalls ein paar Tomaten werden auf dem Balkon oder im Garten noch selbst gepflanzt. Die Verdrängung des Schlachtvorgangs ist ein Bestandteil der Moderne. Fanden bis ins 19. Jahrhundert noch Tierhaltung und Schlachtung in Hinterhöfen von Wohngebieten statt, so wurde das Töten von Rindern und Schweinen um die Jahrhundertwende in die großen Schlachthöfe am Stadtrand verlegt.

Heute dienen diese Schlachthöfe als Lofts, Restaurants oder Kulturzentren, während die Fleischverarbeitung in umzäunten Großbetrieben auf dem platten Land stattfindet. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Und wie käme derjenige, der das Töten der Tiere verdrängt, ausgerechnet dazu, den Beruf des Fleischers lernen zu wollen? Dies zumal Medien jungen Menschen oft andere Berufs­ideale als attraktiv vermitteln, vom Designer, Tierarzt oder Psychotherapeut über den Popstar oder Rapper bis zum Topmodel. Zusätzlich steht der Berufsstand unter dem Druck durch zunehmenden Vegetarismus oder Veganismus.

Zunehmende Angriffe durch militante Veganer-Gruppen

Erst im Juni haben sich französische Metzger über vermehrte Angriffe durch militante Veganer-Gruppen beschwert. In Lille wurden eine Metzgerei und ein Fischgeschäft verwüstet, andere Läden wurden mit Kunstblut bespritzt. Ein Fleischerladen in Angers wurde mit der Parole „Fleisch ist Mord. Die Kunst des Mordens“ beschmiert. Zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten wurde eine Veganerin im März verurteilt, nachdem sie im Internet den Tod eines Fleischers im südfranzösischen Trèbes während einer islamistischen Attacke als „gerecht“ begrüßt hatte. Ein Mörder sei eben von einem Terroristen getötet worden. Es ist also möglich, daß Tierschützer nach den Pelzhändlern und Jägern in den Fleischern ihre nächsten Feindobjekte ausmachen. 

Das Ende der Nürnberger Metzgerei Stübinger nach 100 Jahren im Mai dieses Jahres steht exemplarisch für viele derartige Betriebe. Gegenüber der Presse erklärten die Inhaber, daß Fleisch zunehmend unter einem Image-Problem leide. Die bessergestellten Großstädter kaufen aus gesundheitlichen und moralischen Gründen weniger Fleisch, wenn sie nicht ganz in den Veganismus übergleiten.

Die verarmenden Mittel- und Unterschichten wandern zum Billigfleisch der Discounter ab. Die Einzelhandelsgegenden veröden, weil die Massen zum Supermarkt oder ins Einkaufszentrum fahren, da dort ausreichend Parkplätze existieren. Die Stromkosten steigen, und kleine Läden müssen zusätzlich die Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bezahlen, von dem sich Großbetriebe teils befreien lassen können, da jene international wettbewerbsfähig bleiben sollen. Eine klare politische Bevorzugung der Großen also. Zudem wachse in vielen Städten die Zahl der Muslime, die bei einem Betrieb, der Schweinefleisch verarbeitet, ohnehin nicht einkaufen gehen.