© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Lustvolles Verachten
Die Sachsen im Spannungsfeld zwischen Besserwessis, Migrantenkriminalität und Pegida-Zorn
Werner J. Patzelt

In Sachsen brennen nicht nur Asylbewerberheime und marodiert rechter Mob durch Großstadtstraßen, sondern die Polizei paktiert mit dieser Bande auch noch, ja hindert gar Journalisten daran, von solchem Unrat zu berichten. Dahinter stellt sich obendrein der Ministerpräsident. Kein Wunder im rechtesten aller Bundesländer, mit seinem von der CDU verursachten braunen Sumpf samt „Pegizei“!

So stellte sich für viele wieder einmal die Lage dar, als aus einer ziemlich schlichten Dresdner Straßenkonfrontation von Demonstranten, Journalisten und Polizei eine bundesweit diskutierte Staatsaktion wurde. Die Chemnitzer Ereignisse seit dem vergangenen Sonntag rückten das erst recht in einen dramatischen Kontext: eine Messer-attacke mit Todesfolge und Schwerverletzen am Rand eines Stadtfests; zwei ausländische Tatverdächtige; rechte Demonstrationen mit Jagdszenen auf Fremde; berechtigt scharfe Kritik daran, die aber umsichtig den migrationspolitischen Verursachungszusammenhang beschwieg. Das alles wurde zum neuerlichen Beweis, wie hoffnungslos es um Sachsen stehe. Andere wiederum fragen: Sind nicht alle Pegida-Befürchtungen inzwischen eingetreten – und die Sachsen einfach die ersten, die sich zäh wehren?

Jedenfalls verschlingen sich hier viele Zündschnüre gesellschaftlicher Konflikte um innenpolitisches Dynamit: der Zerfall unserer Öffentlichkeit („Lügenpresse“ gegen „alternative Fakten“) samt Rückzug der Beleidigten in wechselseitig verachtete Meinungshöhlen; der Streit um richtiges Verhalten zu rechtspopulistischem Protest („niederhalten“ vs. „Sorgen ernst nehmen“); die unausgewogene Rolle des Staates (sehr durchsetzungswillig gegenüber der eigenen Bürgerschaft, eher nachgiebig gegenüber Migranten); die das alles mitbewirkenden Fehler unserer Migrations- und Integrationspolitik; die Vergiftung unserer Debatten durch Feindschaft, wo politische Gegnerschaft reichte; und obendrein Denunziationen Sachsens als gescheiterter, unkultivierter oder neoautoritärer Staat. Endlich haben die Guten im Lande wieder Leute zum lustvollen Verachten.

Scharf wird unter solchen Umständen auf die Polizei als den harten Kern eines Staates geblickt. Ihre Rolle als Monopolistin legitimer Zwangsgewalt darf sie gewiß nie willkürlich oder parteiisch spielen. Doch natürlich machen sich Polizisten Gedanken darüber, in welche Konflikte man sie schickt, wer für das Aufkommen gewaltträchtiger Milieus verantwortlich ist, wer mit der Polizei auf welche Weise umgeht. Das alles setzt sich um in politische Schlußfolgerungen, markant profilierte Einstellungsverteilungen, davon geprägte Handlungsbereitschaften. Die mögen politisch gefallen oder nicht, ja sogar zur Frage führen, wem polizeiliche Loyalität im Konfliktfall wohl gälte. Und da gibt es den weithin von sächsischen Polizisten geteilten Eindruck, die meisten unter ihnen wählten die AfD, allenfalls mit zusammengebissenen Zähnen weiterhin die CDU, ziemlich selten aber SPD, Grüne oder Linke.

Doch warum ist das so? Oft sind die folgenden Gründe zu hören: Für Linke sei man als Polizist ein „Bulle“, auf den nötigenfalls geschossen, jedenfalls mit Pflastersteinen losgegangen werden darf; Pegida-Demonstranten aber machten keine Scherereien, ja bedankten sich nach jeder Kundgebung artig bei der Polizei. Immer wieder habe man es mit „verhaltensauffällig gewordenen“ Migranten zumal jugendlichen Alters zu tun, und das wäre nicht nur schwierig, sondern auch ein – ohne wirkliche Not – rein politisch erzeugtes Problem. Für dessen herausfordernde polizeiliche Handhabung gäbe es aber statt Anerkennung vor allem Vorwürfe, zumal den des Rassismus.

Auch hätten nicht nur Zuwanderer, sondern mehr und mehr Deutsche immer weniger Respekt vor der Polizei, weil viele das exekutive Hinwirken auf Regelgehorsam als selektives Repressionsverhalten eines Staates wahrnähmen, der lieber das Bezahlen von Strafzetteln wegen Falschparkens als die Ausreisepflicht vieler Migranten durchsetze. Außerdem habe gerade die CDU die Polizei „kaputtgespart“ – und die Linke fordere trotzdem eine noch viel weitergehende „Abrüstung“ des Staates. Empfindet man die Lage so, dann müssen da Frustrationsgefühle und das Verlangen nach Alternativen für Deutschland nicht wundern.

Doch was läßt sich da wirklich erkennen? Brauner Gehirnschlamm? Demokratiefeindlichkeit? Oder schlicht die Empfindung, zum Fußabtreter eines Landes geworden zu sein, das von seinen Politikern und Intellektuellen gespalten wurde, nun seine Polizisten ins Kreuzfeuer der verfeindeten Lager schickt und sie dann alleine läßt?

Und wie muß man sich „die Sachsen“ vorstellen, in deren Land sich das alles zuträgt? Im Durchschnitt wohl so: Selbst fleißig, mögen sie es nicht, wenn jemand zu ihnen kommt und sich nicht ebenfalls anstrengt. Sie sind stolz auf ihr Land und dessen Leistungen, zu denen sie verläßlich beitragen. Deshalb wollen sie Leute über sich, auf die sie – wegen guter Folgen ihres Regierens – auch ihrerseits stolz sein können. Obwohl bildungsbeflissen, hassen es Sachsen, belehrt zu werden – gar von oben herab oder von „Besserwessis“. Machen sie sich Sorgen, so wollen sie ernst genommen werden. Verwehrt man ihnen das, dann werden sie ungemütlich: meckern, protestieren, werden aufsässig, kündigen gar „dem System“. Sie vertrauen gern, doch ihr Vertrauen will erst verdient werden; und wer da enttäuscht, hört „Volksverräter“ oder Trillerpfeifen. Ist das nun rechts? Braun? Nazistisch? – Vielleicht ist es einfach so, daß Sachsen nur so lange klein beigeben, wie es gar nicht anders geht.






Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Jahrgang 1953, lehrt Politikwissenschaft an der TU Dresden und ist Mitglied im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.