© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bundesbandschadenvorfall
Paul Rosen

Normalerweise kommt man da nicht rein. Zwar steht an der Fassade des Reichstags „Dem deutschen Volke“, aber das Volk darf höchstens auf die Kuppel. Einmal im Jahr gibt es aber eine Ausnahme. Dann veranstaltet der Deutsche Bundestag den „Tag der Ein- und Ausblicke“, und dann ist nicht nur die Kuppel zu betreten, sondern das gesamte Reichstagsgebäude mit Ausnahme des Plenarsaals – der bleibt tabu. „Hier schlägt das Herz der Demokratie“, wirbt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) um möglichst viele Besucher am 9. September. 

Spannend wird es auf der „Fraktionsebene“, eine Etage über dem Plenarsaal. Dort sind die Sitzungssäle der Fraktionen, und Besucher haben die Gelegenheit, hier nicht nur mit Abgeordneten ins Gespräch zu kommen, sondern auch Erfrischungen zu bekommen. Bei der SPD-Fraktion wird es sogar Cocktails geben, allerdings ohne Alkohol. Eine Kaffeebar wird auch von der AfD-Fraktion vor ihrem Sitzungssaal angeboten. Kickern können Besucher bei der Linksfraktion, und bei den Grünen gibt es eine „Grüne Bar“.

Nicht zu verachten sind die Angebote in den Nebengebäuden wie dem Paul-Löbe-Haus. Besonders interessant wird das selbst Kennern des Berliner Betriebs wenig vertraute Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Hier gibt es ein Mauer-Mahnmal und eine der größten Parlamentsbibliotheken der Welt. Führungen durch das Bibliotheksmagazin und das Parlamentsarchiv eröffnen eine sonst verschlossene Welt.

Allerdings bleibt ein Teil des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses den Besuchern verschlossen: der Neubautrakt zur Luisenstraße hin. Mit seinem (ursprünglich höher geplanten) Rundturm sollte der Anbau den Abschluß des sogenannten „Bandes der Bundes“ bilden, das sich vom Kanzleramt bis zur Luisenstraße über die Spree zieht und das auch als Brückenschlag zwischen dem früheren West- und dem früheren Ost-Berlin verstanden werden kann. Doch seit Jahren schon steht der Anbau nicht mehr für Brückenschlag, sondern Bauprobleme. An den Fundamenten sind Risse aufgetreten. Das zuständige Bundesamt für Bauordnung und Bauwesen (BBR) arbeitet an der Sanierung, was jedoch angesichts eines „uneinheitlichen Schadensbildes“ (BBR) schwierig ist. Folglich wurden die Eröffnungstermine für den ursprünglich auf Kosten in Höhe von 190 Millionen Euro geschätzten Anbau verschoben wie die Eröffnungstermine des Berliner Flughafens. Zuerst war von 2014 die Rede, dann von 2017. Schließlich wurde 2021, also nach der nächsten Bundestagswahl, als Datum gesetzt. Jetzt ist zu hören, daß es auch bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein dauern könnte. Verantwortlich fühlt sich für den Bau offenbar niemand so richtig. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist längst ausgeschieden. Schäuble interessiert sich für große Weltpolitik und nicht für kleine Hausangelegenheiten. 2021 dürfte der bald 76jährige kaum noch einmal Präsident werden, so daß wahrscheinlich ein Nachfolger irgendwann die Vollendung des „Bandes des Bundes“ wird feiern können.