© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Christen geraten ins Hintertreffen
Indonesien: Als Rammbock einer immer stärkeren Islamisierung dient vor allem das Blasphemie-Gesetz aus dem Jahr 1945
Ludwig Witzani

Sukarnos letzte Erektion nennen die Einwohner Jakartas das Monas, das indonesische Nationalmonument, das sich mitten in der Riesenstadt als ein gewaltiger 132 Meter hoher Obelisk in den Himmel erhebt. Jedes Jahr am 17. August, dem indonesischen Nationalfeiertag, starten und enden hier pompöse Umzüge, in denen die Einheit der Nation beschworen wird.

 Im marmorgetäfelten Untergeschoß des Monas wird das dazu  passende staatliche Geschichtsbild ausgestellt, eine Kollektion von 48 Puppenszenen hinter Glas, in denen Malaien und Chinesen, Hindus, Moslems und Christen am Bau der indonesischen Nation arbeiten, bis sich mit der Ausrufung der indonesischen Republik durch den Staatsgründer Sukarno am 17. August 1945 das geschichtliche Happy End einstellte.

Einheit ist mehr Programm denn Wirklichkeit 

 Welche konkrete urbane Gestalt dieses Happy-End inzwischen angenommen hat, können die Besucher anschließend auf der Aussichtsplattform des Monas in 115 Metern Höhe betrachten. Sie blicken auf das schier unendliche Häusermeer einer Zehnmillionenstadt, die sich immer weiter ins Umland frißt und in wenigen Jahren zu einer Metropolregion mit etwa 30 Millionen Menschen verschmolzen sein wird. Dieses neue Gebilde, das bereits auf den Kunstnamen Jabodetabek getauft wurde, soll dann neben Tokio der größte urbane Ballungsraum der Erde sein.

Indonesiens Hauptstadt ist der monströse Ausdruck eines bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwungs. Obwohl sich die Bevölkerung Indonesiens seit der Staatsgründung auf 260 Millionen Menschen vervierfacht hat, gibt es keinen wirklichen Hunger mehr im Land. Indonesien ist zum Reisexportland geworden, und der internationale Kapitalimport ermöglicht die Erschließung reicher Erdöl-, Erdgas-, Gold-, Nickel-, und Zinnvorkommen. Auch wenn die Armut noch keineswegs aus den Peripherien der großen Städte verschwunden ist, verfügt der Indonesier mittlerweile über ein doppelt so hohes Durchschnittseinkommen wie ein Inder.  

 Vor allem hat sich die Demokratie nach einem regelrechten Ritt auf dem Rasiermesser in den Jahren um die Jahrtausendwende in  staunenswerter Weise behauptet – manche sagen, sie sei erst in dieser Krise geboren worden. Denn über vierzig Jahre, zuerst von 1945 bis 1966 unter Sukarno, dann von 1966 bis 1999 unter Suharto wurde Indonesien diktatorisch regiert, und als Suharto im Zuge der Asienkrise stürzte, drohte das Land in einer Gewaltorgie ohnegleichen auseinanderzubrechen. Gerade einmal 15 Jahre ist es her, als sich Moslems und Christen auf den Molukken an die Gurgel gingen und als Bali von islamistischen Terroranschlägen erschüttert wurde.  

Bereist man heute die Molukken, Bali oder Sulawesi, ist es dort so ruhig, als ob es niemals Unruhen gegeben hätte.  Pancasila, die Ideologie der nationalen Einheit auf der Grundlage des Glaubens an einen Gott, an eine Nation, an Demokratie, Humanismus und soziale Gerechtigkeit, wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich bekräftigt. 

 Doch in Wahrheit ist die Einheit des Landes noch immer mehr Programm als Wirklichkeit. Im Norden Sumatras, in der Provinz Banda Aceh, hat die Zentralregierung den Separatismus nur dadurch eindämmen können, daß sie der Provinzregierung die Einführung der Scharia erlaubte. Der Konflikt um das von Indonesien widerrechtlich annektierte Westpapua wird nur durch die Präsenz der Armee unter Kontrolle gehalten. Seitdem es der ehemaligen portugiesischen Kolonie Ost-Timor gelungen ist, sich von der indonesischen Okkupation zu befreien, stehen die christlich geprägten Regionen der kleinen Sunda-Inseln unter verschärfter Beobachtung.  

Noch immer trägt das Land schwer an den Folgen der Transmigrasi-Politik, einem gigantischen Umsiedlungsprogramm, das in der Suharto-Ära Millionen Menschen von den übervölkerten Inseln Java und Madura auf die peripheren Inseln nach Kalimantan, Nusa Tenggara, Sulawesi oder West-Papua verfrachtete. 

Dieses von oben diktatorisch ins Werk gesetzte Programm hat das jahrhundertelang weitgehend friedliche Zusammenleben von Moslems und Christen erschüttert. Bald kam es im ganzen Land zu Ausschreitungen, die schließlich in die blutige Krise der Jahrtausendwende mündeten. Auch wenn die Transmigrasi-Politik inzwischen beendet wurde, die Millionen Zuwanderer befinden noch immer vor Ort und sehen sich den feindlich gesinnten Alt-eingesessenen gegenüber. Die einstmals durchmischten Viertel  haben sich längs einer unsichtbaren Grenze in christliche und moslemische Viertel separiert. 

Religiöse Toleranz schwindet zusehends

In der Religionspolitik geraten die Verhältnisse aus dem Gleichgewicht. Obwohl 83 Prozent aller Indonesier dem sunnitischen Islam angehören, betrachtet sich Indonesien als säkularer Staat, was so lange kein Problem war, wie die Mehrheit der moslemischen Bevölkerung einem sehr weitherzigen Alltagsislam folgte. Wer als Moslem neben Allah auch die hinduistische Reisgöttin Devi Sri verehrte und mit seinen christlichen Nachbarn gemeinsame Feste feierte, hatte kein Problem mit religiöser Toleranz. Das hat sich in den vergangenen Jahren unübersehbar geändert. 

Ein orthodoxer Buchstabenislam befindet sich unverkennbar auf dem Vormarsch, und das Kopftuch beherrscht mittlerweile das Straßenbild indonesischer Städte. Daß die dezidiert islamistischen Parteien bei landesweiten Wahlen bisher schlecht abschnitten, bedeutet wenig, denn die liberalen und laizistischen Parteien wissen sehr genau, daß sie auf die Wünsche der Muslime Rücksicht nehmen müssen, um sie nicht als Wähler an die Islamisten zu verlieren. 

Überall im Land zwingt allein das erdrückende Übergewicht der muslimi-schen Bevölkerungsmehrheit opportunistische Politiker zu Zugeständnissen an muslimische Vorstellungen, selbst wenn sie mit den Gesetzen nicht in Einklang stehen. Was man befürchten muß, ist nicht unbedingt ein Gottesstaat wie im Iran, sondern eine Entwicklung wie im nordafrikanischen Maghreb,  wo der Islam längst über gesellschaftlichen Druck und oft an den Gesetzen vorbei das öffentliche Leben kontrolliert. 

Als Rammbock einer immer stärkeren Islamisierung hat sich das Blasphemie- Gesetz aus dem Jahre 1945 erwiesen, das ursprünglich die sechs zugelassenen Glaubensbekenntnisse – Islam, Katholizismus, Protestantismus, Hinduismus Buddhismus und Konfuzianismus – vor Herabsetzungen schützen sollte. In der Praxis wird das Gesetz aber vor allem dazu eingesetzt, die moslemische Glaubensdominanz auszubauen. 

Gerade in diesen Tagen hat diese unheilvolle Entwicklung eine weitere Zuspitzung erfahren. Da sie sich über die Lautstärke der Gebetsrufe aus einer benachbarten Moschee gestört fühlte und um eine Verringerung derselben gebeten hatte, ist eine buddhistische Frau wegen Beleidigung des Islam zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Zuvor war schon niemand Geringers als die Lyrikern Sukmawati Sukarnoputra, Tochter des Staatsgründers Sukarno, Opfer eines Kesseltreibens, weil sie in ihrem Gedicht  „Ibu Indonesia“ (Mutter Indonesien) die toleranten Traditionen des Landes über die Scharia gestellt hatte. 

Sofort nach der öffentlichen Lesung  demonstrierten Tausende Moslems in der Hauptstadt und forderten Sukmawatis Verhaftung, wobei besonders beunruhigend war, daß sich auch bisher gemäßigte  Muslimorganisationen wie die Nahdlatul Ulama der Agitation anschlossen. Am Ende mußte die Tochter des Staatsgründers mit Kopftuch öffentlich vor dem Rat der Islamgelehrten erscheinen und unter Tränen um Vergebung bitten. 






Ludwig Witzani ist Autor des Buches „Der asiatische Archipel. Reisen zwischen Sumatra und Papua“, epubli Verlag, Berlin 2018, broschiert, 444 Seiten, 14,95 Euro