© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Das Volk in den Augen der politischen Bildung
Vorgaben höherer Stellen
Stefan Scheil

Ein eigentümlicher Anspruch ist es, den die politische Bildung in der Bundesrepublik erhebt. Ausgewogen soll sie sein. Zur politischen Mitarbeit soll sie ermutigen, Verständnis für politische Sachverhalte fördern und das demokratische Bewußtsein festigen. Gesichert und kontrolliert werden sollen die Einhaltung dieser Ziele durch ein aus den Parlamenten heraus gebildetes Netzwerk von Kuratorien in den Bundes- und Landeszentralen für eben diese Bildung.

Wer in der Floskel von der Bildung „demokratischen Bewußtseins“ die Spuren des Kulturbruchs von 1968 erkennt, der liegt völlig richtig. Am 10. September 1969 wurde dies per Erlaß zur Aufgabe der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) erklärt und konnte sich seitdem ungebrochen halten. Gleiches gilt für die scheinbar freundliche Förderung der „politischen Mitarbeit“ der Bürger. Sie stammt aus demselben Erlaß und steht seitdem unverändert in den Vorgaben, unabhängig von allen Regierungswechseln. Zuletzt ausdrücklich bekräftigt wurde sie im Jahr 2001, unterzeichnet hat damals Otto Schily, Innenminister der rot-grünen Schröder/Fischer-Regierung. Die scheinbar endlose Ära Merkel hat in der politischen Bildung keine eigenen konzeptionellen Spuren hinterlassen, ist sie doch nur der extreme Vollzug von sozialdemokratisierten Vorgaben, die bei Amtsübernahme bereits feststanden.

Ganz in diesem Sinn liquidierte Otto Schily durch den Erlaß 2001 den seit 1992 bestehenden Auftrag der BpB, den „Aufbau demokratischer Strukturen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft in den osteuropäischen Staaten zu unterstützen, die geistige Auseinandersetzung mit totalitären Ideologien und deren Machtstrukturen zu fördern“. Diese Passage wurde ersatzlos gestrichen. Der allgemeine Hinweis auf den notwendigen Kampf gegen totalitäre Ideologien schmeckte dem rot-grünen Zeitgeist nicht, die damit verbundene Aufarbeitung der 68er-Vertraulichkeiten mit dem realen Sozialismus vor 1989 ebenfalls nicht. Noch 1987 hatte die Sozialdemokratie in einem berühmt-berüchtigten SED/SPD-Papier die politischen Systeme in Ost und West faktisch gleichgestellt.

Schilys Entscheidung darf demnach als Programm gesehen werden, ebenso wie die seit fünfzig Jahren bestehende Aufforderung zur „politischen Mitarbeit“, die bei Licht betrachtet nichts anderes als eine arrogante Anmaßung staatlicher Stellen gegenüber jenen ist, denen sie verantwortlich sein sollten. Ein Mitarbeiter übt in der Regel eine ehrenwerte Tätigkeit aus. Für den Souverän wird ihn jedoch niemand halten, also gerade nicht für das, was die Bundesbürger, was das Volk laut Verfassung eigentlich sein soll: die Instanz, die das Ziel des ganzen Staatsunternehmens vorgibt und die entscheidet, wie dieses Ziel angegangen wird.

Die Bildungsarbeit der Bundes- und Landeszentralen hat den antitotalitären Konsens der Demokraten aufgekündigt. Demokratiefeindlichkeit, Verfassungsfeindschaft, Gewalt und „Fake News“ von Links sind der Bildungsarbeit kaum eine Zeile wert.

Ein Mitarbeiter folgt stets Vorgaben höherer Stellen, und es scheint, als sei die politische Bildung der Bundesrepublik darauf angelegt, eben solche Vorgaben zu liefern und sich für eine solch höhere Stelle zu halten. Von oben nach unten richtet sich ihr Angebot, nicht an das Volk, sondern unterschiedslos an die, die bekanntlich „schon länger“ oder zufällig seit kurzem hier leben. Wenn Sie das für eine journalistische Übertreibung und für anachronistisch halten, da diese Floskel erst anderthalb Jahrzehnte nach Schilys Erlaß durch Angela Merkel geprägt wurde, dann sollten Sie beachten, was 2001 noch gestrichen wurde – das Volk nämlich. Es kommt seitdem im Bildungsauftrag der BpB nicht mehr vor.

Grundsätzlich sollte Einigkeit darüber bestehen, daß politische Bildung im Rahmen eines demokratischen Verfassungsstaates das Ziel verfolgen muß, die Staatsbürger zur Wahrnehmung ihrer politischen Rechte und Pflichten zu animieren und sie durch Sachinformationen über politische Inhalte und institutionelle Funktionen mit den nötigen Fähigkeiten auszustatten, diese Rechte wahrzunehmen. Eben diesen „demokratischen Gedanken“ sollte die Bundeszentrale für politische Bildung fördern, als sie 1952 gegründet wurde, noch eine Bundeszentrale für Heimatdienst genannt wurde und ihre Dienste dem „deutschen Volke“ widmete.

Genau dies leistet die gegenwärtige Bildungsarbeit der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung aber nicht. Sie verleugnet nicht nur das deutsche Volk als ihren Auftraggeber, sondern ist durchweg darauf angelegt, eventuelles Mißtrauen gegen staatliche Stellen zu zerstreuen sowie Kritik und Kontrolle gegenüber der Politik der Einheitsfront der regierenden Altparteien zu erschweren. Folgerichtig fehlen in ihren Programmen die Warnungen vor wesentlichen aktuellen Gefährdungen der Verfassung. Der antitotalitäre Konsens der Demokraten wurde aufgekündigt, übrig blieb lediglich der antifaschistische Konsens, für den die Welt in Ordnung ist, solange sie sich in Deutschland als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus versteht.

Doch sind die Bedrohungen der demokratischen Grundordnung bekanntlich etwas vielfältiger. Da wäre etwa das Stichwort „Linksextremismus“. Demokratiefeindlichkeit, Verfassungsfeindschaft, Gewalt und „Fake News“ von Links sind der politischen Bildungsarbeit so gut wie keine Zeile wert. Informationsbroschüren, Veranstaltungen zu diesem Thema, Rhetorik-Seminare, die sich mit diesem Thema befaßt hätten, sind weitgehend Fehlanzeige. Auch die Publikationsliste der BpB enthält, soweit zu sehen, kaum grundsätzlich kommunismuskritische Literatur. Von politischer Ausgewogenheit kann in diesem Bereich keine Rede sein.

2017 jährte sich die russische Oktoberrevolution zum hundertsten Mal. Dieser Auftakt zu einem bis dahin beispiellosen Menschheitsverbrechen, in dessen Rahmen in nie vorher erlebter Dimension Millionen von Menschen ermordet wurden, hätte plastische Gelegenheit geboten, auf die Gefahren linksextremistischen Denkens und die Notwendigkeit von demokratischer Machtbegrenzung und Kontrolle hinzuweisen. Zwar läßt sich nicht sagen, daß es gar keine Veranstaltungen in diesem Sinne gegeben hätte, aber Grundtenor blieb doch regelmäßig der, Kommunismus sei eine gute, diskutable Sache, die nur falsch umgesetzt worden sei.

Die Landeszentrale für politische Bildung in Mainz rechtfertigte sich gegen Kritik an dieser Präsentation mit dem Verweis auf eine sechsteilige Filmreihe „100 Jahre russische Revolution“. Sie sei von der LpB im November 2017 angeboten worden und habe sich „kritisch“ mit der Oktoberrevolution auseinandergesetzt. Das Programm enthielt allerdings keinen Film, der sich direkt mit den Massenverbrechen der Revolution beschäftigt hätte. Genaugenommen gab es sogar keinen einzigen Film, der überhaupt direkt die Oktoberrevolution thematisierte. Statt dessen wurde etwa ein Propagandafilm aus der späten UdSSR über den Partisanenkrieg während des Zweiten Weltkriegs gezeigt, der – natürlich – nationalsozialistische Verbrechen thematisierte, keine sowjetischen. Als einziger „Revolutionsfilm“ wurde Sergej Eisensteins Revolutionsverherrlichung „Panzerkreuzer Potemkin“ über den Aufstand von 1905 aufgeführt. Ein filmisches Meisterwerk und ein Klassiker der pro-kommunistischen Öffentlichkeitsarbeit, zweifellos. Das war aber – mit Verlaub – in etwa so, als wolle man sich durch die unkommentierte Aufführung von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen.

Aus dem am Nasenring durch die Arena geführten „Mitarbeiter“ einer selbstverliebten Elite könnte wieder der Souverän werden. Der es nicht duldet, wenn auf dem Gebiet seines eigenen Landes ein Gesellschaftsexperiment zu seinen Lasten stattfindet.

 Auch beim Stichwort Islam zeigt sich die fehlende Wahrnehmung für grundsätzliche Konflikte mit verfassungsgefährdendem Inhalt. Die muslimische Ideologie ist sich trotz verschiedener Strömungen in wesentlichen Punkten einig, wobei der für Fragen der politischen Bildung wichtigste Aspekt die grundsätzliche Ablehnung der Existenz von Menschenrechten im Sinne westlichen Denkens sein dürfte. Der Islam kennt keine allgemeinen Menschenrechte. Alle Rechte des Menschen kommen für ihn aus dessen Verhältnis zu Gott und existieren in dem Rahmen, der in der Scharia formuliert ist. Daher können weder Männer noch Frauen, noch Gläubige und Ungläubige gleiche Menschenrechte haben. Dies wird in der Kairoer Erklärung von 1990 ausdrücklich und detailreich ausgeführt. Sie wurde von der gesamten islamischen Staatenwelt unterzeichnet und als Gegenentwurf zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen präsentiert. Dementsprechend ist das Verhältnis des Islam zur bundesdeutschen Verfassungsordnung in Teilen konsequenterweise aggressiv kämpferisch, im überwiegenden Maß aber schlicht verfassungsfremd.

Es ist aus diesem Grund kein Zufall, wenn kein einziger islamischer Staat eine Verfassungsordnung hat, die bundesdeutschen oder westlichen Maßstäben entsprechen würde. Das ist die unmittelbare Konsequenz gelebter islamischer Tradition. In der Bundesrepublik drückt sich diese Tradition etwa im alltäglichen, drastischen Verfall von Frauenrechten aus, die beispielsweise in der steigenden Zahl von Kinderehen, Vielehen und Genitalverstümmelungen bei Mädchen zum Ausdruck kommt. Dinge, die mit dem Menschenbild unserer Verfassung samt und sonders unvereinbar sind. Die steigende Zahl der Muslime in Deutschland stellt insofern eine schleichende Form der Verfassungsgefährdung dar, die von der politischen Bildung entsprechend aufzugreifen wäre und dies auch würde, falls die BpB zum antitotalitären Konsens zurückfände. Aktuell warnt sie vor „Islamismus“ als „Extremismus“, füllt die Bücherregale im übrigen aber mit Islam-Verständnisliteratur.

Mit der Rückkehr zum antitotalitären Konsens verbunden wäre allerdings automatisch die wirkliche Stärkung demokratischen Denkens im deutschen Volk. Aus dem am Nasenring durch die Arena geführten deutschen „Mitarbeiter“ einer selbstverliebten Elite könnte wieder der Souverän werden. Der es nicht duldet, wenn sein Land und seine Rechte an bürokratische Eliten in Brüssel oder in Übersee abgegeben werden, wenn auf dem Gebiet seines eigenen Landes ein Gesellschaftsexperiment zu seinen Lasten stattfindet und die ihm gegenüber eigentlich politisch Verantwortlichen sich auf nebulöse „Werte“ berufen, in deren Namen dies alles geschieht. Nun werden natürlich diejenigen, die diese Situation geschaffen haben und gut mit ihr leben, nicht freiwillig gehen. Man wird sie politisch ablösen müssen.






Dr. Stefan Scheil, Jahrgang 1963, ist Mitglied im Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Vorgeschichte und Eskalation des Zweiten Weltkriegs. Scheil studierte Geschichte und Philosophie in Mannheim und Karlsruhe. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die vergeblichen Versuche, den polnisch-deutschen Krieg 1939 zu verhindern („Eine Brücke bauen“, JF 36/17).

Foto: Volk, deutsches Volk: Der Souverän dieses Staates kommt im Bildungsauftrag der Bundeszentrale für politische Bildung nicht mehr vor. Er wurde gestrichen