© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Mister Bundesrepublikforschung
Ein Jahr nach seinem Tod sind die Lebenserinnerungen des Bonner Politikwissenschaftlers Hans-Peter Schwarz erschienen
Ansgar Lange

Der am 14. Juni 2017 verstorbene Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz hatte zuvor seine Lebenserinnerungen geschrieben, die ursprünglich nur für den privaten Gebrauch gedacht waren. Dies wäre ein Verlust gewesen. Denn Schwarz war ein politischer Professor, der zeit seines Lebens virtuos auf der Klaviatur von Politikwissenschaft und Publizistik gespielt hat. 

Seine vielen Bücher über Ernst Jünger, Konrad Adenauer, Axel Springer und Helmut Kohl sind nicht nur wissenschaftliche Standardwerke, sondern auch oft ein Lesegenuß. Langweilen wollte und konnte Schwarz nie. Seine Erinnerungen tragen den Titel „Von Adenauer zu Merkel“. Vom Gründungskanzler, unter dem es mit der Bundesrepublik Deutschland immer nur bergauf ging, hat er aber wesentlich mehr gehalten als von Kanzlerin Angela Merkel, die den tiefen Zukunftspessimismus – was das eigene Land angeht – des politischen Professors noch verstärkt haben dürfte.

Unser Land ist auf dem besten Weg, sich aufzugeben

In seinem Geleitwort stellt der Herausgeber Hanns Jürgen Küsters fest, daß kein anderer Hochschullehrer die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland so geprägt habe wie Schwarz. Selbst linke Kritiker des Liberal-Konservativen dürften dies kaum bestreiten. Obwohl schon 83jährig, ist Schwarz dennoch unerwartet verstorben. Bis zum Lebensende war er auf eine geradezu faszinierende Art produktiv. Schreibkrisen und seelische Erschütterungen scheint er nicht gekannt zu haben. 15- bis 16-Stunden-Tage waren die Regel, auch am Wochenende. 

„Selbstbespiegelung à la Jean-Jacques Rousseau ist nie mein Ding gewesen“, schreibt Schwarz zu Beginn. In der Tat: Voyeure, die darauf hoffen, innere Dramen ausgebreitet zu sehen, werden enttäuscht sein. Schwarz war immer ein Macher, dem es vor allem darum ging, sein Werk voranzubringen. Er hat große Bücher geschrieben, für Fachzeitschriften Aufsätze verfaßt, er war lange Jahre regelmäßiger Kolumnist der Tageszeitung Die Welt und hat so manche Stunde in Gremiensitzungen verbracht. Bereits mit 23 Jahren wurde er über das Werk Ernst Jüngers promoviert. Mit dem Schmöker „Phantastische Wirklichkeit“ hat er seiner jahrzehntelangen Vorliebe für politische Thriller Ausdruck verliehen. Anders als manche Literaturwissenschaftler war er sich nicht zu fein zur Lektüre dieser Krimis. Und er stellte heraus, daß sich auch in den Werken von Eric Ambler, Frederick Forsyth, Robert Ludlum, Graham Greene, Clive Cussler und anderen das 20. Jahrhundert spiegelte. 

Wenn das Buch bei Adenauer politisch quasi anfängt und bei Merkel endet, dann ist die abschließende Analyse wohl besonders an die Adresse der Kanzlerin gerichtet: „Die widerstandslose Kapitulation vor der Einwanderung ist ein viel kritischeres Phänomen, weil die Residuen christlicher Barmherzigkeit im Widerspruch zur praktischen Vernunft stehen. Jedenfalls finden die deutschen Bürger und Arbeiter, die nach einer nüchternen Politik der Selbstbehauptung verlangen, keine respektablen Organisationen mehr, die das eigentlich Selbstverständliche verhindern. Unser Land ist auch in dieser Hinsicht auf dem besten Weg, sich aufzugeben, und die EU-Integration gibt dafür eine schönklingende Entschuldigung ab.“

Hans-Peter Schwarz: Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, gebunden, 736 Seiten, Abbildungen, 50 Euro