© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Volle Drohung
AfD: Politiker rufen nach dem Verfassungsschutz
Thorsten Brückner, Christian Vollradt

Ein Gespenst geht um in der AfD: das Gespenst Verfassungsschutz. Zunächst hatte sich angesichts der gemeinsamen Demonstration dreier Landesverbände mit der Bürgerbewegung Pegida in Chemnitz (siehe Seite 7) unter den politischen Konkurrenten ein vielstimmiger Chor derer erhoben, die eine Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz verlangten. Dann platzte am Montag mittag die Nachricht herein, wonach die Nachwuchsorganisation der Partei, die Junge Alternative (JA), ab sofort in den Bundesländern Bremen und Niedersachsen von den dortigen Landesämtern als „Beobachtungsobjekt“ eingestuft wird. 

Bezogen auf die Partei hatte etwa Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gefordert, da die AfD in seinen Augen immer radikaler werde. „Deshalb muß der Verfassungsschutz das arbeitsteilige Zusammenwirken von AfD und Neonazis sehr genau beobachten“, sagte der Sozialdemokrat der Welt. Der AfD warf er vor, gewaltsame Übergriffe zu verharmlosen. „Wer so redet, greift direkt die Grundlagen unseres Rechtsstaates an und wiegelt zu Gewalt auf.“ Die AfD habe mit zur Hetze beigetragen, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Eine Beobachtung und Überprüfung der Partei sei „dringend geboten“, da ihre Strukturen eng vernetzt seien „mit denen der Rechtsextremen und Hooligans, die auf Menschen Jagd gemacht haben“.

Unionsfraktionschef Volker Kauder forderte in der Welt am Sonntag, die Politik müsse sich deutlicher mit der AfD auseinandersetzen, „aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradikalismus geleistet wird“. Das sei eine neue besorgniserregende Qualität. „Die AfD will unseren Staat angreifen“, ist sich der CDU-Politiker sicher. Man müsse die „AfD-Wähler schon fragen: Schämen Sie sich nicht, einer solchen Partei die Stimme zu geben?“

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte dagegen, man müsse natürlich „immer genau hinschauen“.  Der Verfassungsschutz tue dies auch, insbesondere, „ob es sich bei Aussagen von Parteimitgliedern oder Zusammenarbeit mit bestimmten Gruppen um Einzelmeinungen oder parteipolitische Linie handelt“. Derzeit lägen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei „für mich nicht vor“. Auch ein Sprecher seines Ministeriums betonte am Montag: „Der derzeitige Stand der Erkenntnisse rechtfertigt eine Beobachtung der Bundespartei AfD als Ganzes nicht.“ In Deutschland stünden die Parteien „als wesentlicher Bestandteil der demokratischen Willensbildung natürlich unter einem besonderen Schutz; auch das darf man nicht vergessen.“

Die Rufe nach dem Verfassungsschutz wiesen die Spitzen von Partei und Bundestagsfraktion der AfD in einer gemeinsamen Erklärung zurück. Es habe bei den Veranstaltungen der Partei „keine Hetzjagden gegen Ausländer, keine Ausschreitungen, keine Gewalt“ gegeben. Zudem stehe selbstverständlich außer Frage, „daß rechtsextreme Parolen und Symbole in unserer freiheitlichen Gesellschaft keinen Platz haben“. Man wehre sich „entschieden gegen Extremisten, die berechtigte Proteste dazu mißbrauchen, um ihr demokratiefeindliches Weltbild öffentlich kundzutun“. Keine Partei sei „gegen Auftritte von Extremisten im eigenen Umfeld gefeit“. SPD, Linke und Grüne „suchen sogar die Nähe von Extremisten. Immer wieder finden gemeinsame Veranstaltungen ‘gegen Rechts’ auch mit Extremisten statt, kritisierte die AfD-Führung. Die AfD sei „eine demokratische Partei, die für einen starken Rechtsstaat eintritt und die das Grundgesetz nicht nur verteidigt, sondern auch die Einhaltung von Recht und Gesetz fordert“, heißt es in der Erklärung weiter. 

Verbleibende „Sekte“     würde zur Last werden

Parteichef Alexander Gauland ergänzte dies im ZDF: „Wenn immer mehr Menschen uns wählen, versuchen die anderen uns auszugrenzen und uns mit dem Verfassungsschutz zu drohen. Das ist typisch für Konkurrenzparteien, die keine Argumente mehr haben.“ Der Fraktionsvorsitzende im Bundestag hatte dabei wohl auch eine aktuelle Insa-Umfrage im Blick, laut der die AfD mittlerweile vor der SPD liegt (siehe Grafik).

Unterdessen verkündete Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Montag seine Entscheidung, die Jugendorganisation der AfD beobachten zu lassen. Begründung: Er halte die JA für verfassungsfeindlich. Die Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, sagte, in der JA würden „Grundwerte unserer Verfassung“ negiert. Es gebe ein klares Bekenntnis zu vordemokratischen politischen Strukturen. Mit der Entscheidung zur Beobachtung sei der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel möglich, betonte Pistorius. Brandenburger und Pistorius verwiesen zudem auf den Fall des früheren JA-Landesvorsitzenden Lars Steinke, der den Hitler-Attentäter Stauffenberg in einem Facebook-Post als „Verräter“ und „Feigling“ bezeichnet hatte (JF 33/18).

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) führte vor allem personelle Überschneidungen zwischen Identitärer Bewegung (IB) und JA als Grund für die Überwachung an. Im Oktober 2017 sei erstmals die Frage nach der Beobachtung aufgekommen. Seitdem hätten sich die personellen Verbindungen zwischen JA und IB weiter ausgeweitet. Zudem hätten JA-Mitglieder „fremdenfeindliche und rassistische Beiträge“ auf Facebook geteilt.

Nach den Worten Mäurers hat es am Montag zudem eine polizeiliche Durchsuchung beim stellvertretenden JA-Vorsitzenden, Marvin Mergard, gegeben. Man prüfe den Anfangsverdacht der Volksverhetzung. Ebenso wie zwischen IB und JA gebe es auch „hohe personelle Überschneidungen zwischen der JA und dem Landesverband der AfD“, sagte der SPD-Senator. Der Landesverfassungsschutz müsse prüfen, ob auch die AfD als Beobachtungsobjekt in Frage komme.

Der JA-Bundesvorsitzende Damian Lohr hält die Überwachung indes für rechtswidrig. „Weder einzelne Landesverbände der JA noch die Junge Alternative als Ganzes sind verfassungsfeindliche Organisationen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland einsetzen“, sagte Lohr. Auf einem außerordentlichen Bundeskongreß solle dennoch „die Abgliederung der JA-Landesverbände Bremen und Niedersachsen aus der Jungen Alternative“ Thema sein, „was einer Auflösung dieser Landesverbände gleichkäme“.

Mit der Entscheidung über die Abgliederung verbindet Lohr seine politische Zukunft bei der JA. „Folgt die Organisation meinem Antrag auf Abgliederung dieser Landesverbände nicht, stehe ich als Vorsitzender der JA nicht mehr zur Verfügung.“ Diese Haltung Lohrs bezeichnete der Bremer AfD-Vorsitzende Frank Magnitz gegenüber der JUNGEN FREIHEIT als „völlig überzogen“ und nannte es „äußerst merkwürdig, sich politisch so unter Zugzwang zu setzen“. Die Beobachtung sei „ein Akt politischer Willkür“. Magnitz sieht darin einen „Testballon“ für eine mögliche Beobachtung der AfD. Daß diese erfolgen wird, „wenn es opportun ist“, daran habe er keinen Zweifel. 

Lob für das Vorgehen des JA-Bundesvorsitzenden gab es dagegen vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden Georg Pazderski. Er sieht zunächst den Jugendverband in der Pflicht, nun intern für Ordnung zu sorgen. Vom Ergebnis hänge dann ab, ob auch die Partei ihrerseits tätig werden müsse – und wenn ja, wie. 

Gleichzeitig kritisiert der Berliner Landes- und Fraktionschef die neu aufgeflammte Debatte um eine mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als „leicht durchschaubar“. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Bayern und Hessen sei dies ein erneuter Versuch, die Partei zu stigmatisieren, „weil man uns inhaltlich nicht Paroli bieten kann“, meint Pazderski im Gespräch mit der jungen freiheit. Und daß nun der Verfassungsschutz ausgerechnet dort gegen die JA tätig wird, wo die SPD die Ressortverantwortung trägt, hat angesichts des Abwärtstrends der Sozialdemokraten für den Vizechef der AfD „ein Geschmäckle“. 

Für die niedersächsische AfD kam die Nachricht von der Beobachtung der Jungen Alternative durch den Verfassungsschutz völlig überraschend. AfD-Landeschefin Dana Guth lud kurzfristig zur Pressekonferenz. Für die Partei ist die Vorgehensweise des Innenministers überzogen. Sie kritisiert vor allem, daß sich Pistorius auf einzelne Postings in sozialen Netzwerken beruft, die sicherlich geschmacklos, aber nicht repräsentativ für den Verband seien. „Wir stellen die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens in Frage“, so ein Sprecher gegenüber der JF. Ungeachtet dessen, werde man prüfen, wer für diese Äußerungen verantwortlich sei. Denn gerade in der jüngsten Affäre um den inzwischen abgesetzten ehemaligen JA-Landesvorsitzenden Lars Steinke, gegen den ein Parteiausschlußverfahren läuft, habe der Landesvorstand bewiesen, daß er entschlossen handle. 

Wichtig sei für den Vorstand, daß die Vorwürfe gegenüber der JA erst einmal genau geprüft werden müssen. Sollte sich dabei herausstellen, daß die Jugendorganisation ein strukturelles Problem hat – sprich: es tatsächlich eine Gefahr rechtsextremer Unterwanderung vorliegt –, dann werde man auch „über härtere Sanktionen nachdenken“, so ein Parteisprecher gegenüber der jungen freiheit. 

Bei der JA geht es dagegen ums Ganze, da sind sich die meisten Beobachter sicher. „Wir werden die Gründe, die für die VS-Beobachtung der beiden JA-Landesverbände vorgebracht werden, zunächst einer raschen und sorgsamen Prüfung unterziehen und anschließend über das angemessene weitere Vorgehen auf Basis der Erkenntnisse dieser Prüfung beraten und entscheiden“, teilte der Parteivorsitzende Jörg Meuthen auf Anfrage der jungen freiheit mit. „Weder werden wir irgendwelche vorschnellen Maßnahmen ergreifen, noch werden wir, falls sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, gesetzeswidrige Verhaltensweisen oder Positionen in der JA tolerieren.“ 

In den Augen ihres ehemaligen Bundesvorsitzenden Sven Tritschler habe die JA nun ihre „letzte Chance“. Werde die vertan, würden die gemäßigten Mitglieder in großer Zahl austreten, ist sich der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete sicher. „Mich haben schon viele Mitglieder angesprochen, die sich mit Austrittsgedanken beschäftigten“, sagte er gegenüber der JF. Dennoch sei er zuversichtlich, daß ein Exodus in großer Zahl abgewendet werden könne. Er unterstütze klar das entschlossene Handeln seines Nachfolgers. „Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß sich die beiden Parteivorsitzenden deutlicher hinter JA-Chef Damian Lohr stellen“, merkt Tritschler an. Denn käme es zu einer Austrittswelle der Gemäßigten, so Tritschler, werde die „verbleibende Sekte zu einer Last, von der sich die AfD trennen muß“.





Verfassungsschutz 

Laut Bundesverfassungsschutzgesetz gehört zu den Aufgaben des Nachrichtendienstes, sach- und personenbezogene Informationen über Bestrebungen „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ oder „gegen den Gedanken der Völkerverständigung insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker“ zu sammeln und auszuwerten. Hierfür sahen die Leiter der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder bei ihrer Zusammenkunft im März in der AfD als Gesamtpartei keine Grundlage. Möglich ist jedoch auch eine Beobachtung einzelner Personen oder von Zusammenschlüssen in der Partei. Wird eine Partei zum „Beobachtungsobjekt“, darf der Verfassungsschutz sie observieren, ihre Kommunikation abhören sowie verdeckte Informanten anwerben und abschöpfen. Im Falle von Abgeordneten liegt die Hürde für eine Beobachtung hoch, da dies laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall des Linken-Politikers Bodo Ramelow von 2013 einen Eingriff in das freie Mandat bedeutet.