© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Endlich klare Verhältnisse schaffen
Schweden: Kurz vor den Reichstagswahlen blicken alle gespannt nach rechts
Christoph Arndt

Am kommenden Sonntag haben die Schweden die Qual der Wahl. Die Frage ist nur: Sorgen sie diesmal für klare Verhältnisse? 

Seit der letzten Reichstagswahl vom September 2014 wird Schweden von einer Minderheitenregierung bestehend aus Sozialdemokraten (SAP) und Umweltpartei/Die Grünen (MP) regiert. Lediglich die Dezemberübereinkunft sorgte für ihr politisches Überleben. Diese war eine Absprache zwischen der SAP, MP und den etablierten bürgerlichen Parteien, der sogenannten Allianz aus konservativen Moderaterna (M), Zentrumspartei, Liberalen und Christdemokraten (KD), die darauf zielte, die Mandate der rechtskonservativen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna, SD) bei der Regierungsbildung zu ignorieren. So konnte eine rot-grüne Regierung gebildet werden, obwohl das linke Lager insgesamt nur 42 Prozent der Mandate erhielt. 

Konservative versuchen den Spagat 

Ministerpräsident Stefan Löfven (SAP) mußte somit alle Gesetze durch Zustimmung oder Enthaltung einer bürgerlichen Partei verabschieden und war dadurch ein schwacher, wenig durchsetzungsfähiger und in einigen Fragen erpreßbarer Regierungschef. 

Löfven versuchte zunächst mit seinem grünen Koalitionspartner und der Linkspartei (Vänsterpartiet, V) eine linke Politik durchzusetzen, war dann aber 2015 mit dem Ansturm von Asylbewerbern konfrontiert, nachdem Schweden bereits durch die eigene großzügige Asylpolitik unter dem abgewählten Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt (M) zum Asylland Nummer eins geworden war. Löfven entschloß sich daraufhin  erst am 11. November 2015, Grenz- und Personenkontrollen wieder einzuführen, als die Überlastung Schwedens auch der SAP klar wurde. 

Bei der Verkündung der Entscheidung weinte die damalige stellvertretende Ministerpräsidentin Åsa Romson (MP). Doch die Grünen traten nicht aus der Regierung aus und verloren so linke Wähler, die an offenen Grenzen festhalten wollen, an die Linkspartei und die Zentrumspartei. Letztere nahm unter ihrer Vorsitzenden Annie Lööf verstärkt radikalliberale Positionen bei Asylrecht, Justiz und Zuwanderung ein. 

Spätestens seit der Debatte über die Grenzkontrollen waren Zuwanderung und die damit verbundenen Folgeerscheinungen wie Kriminalität und Verfall staatlicher Autorität zu den prägenden Themen dieser Legislatur geworden.

Parallel dazu offenbarte die Zuwanderungsfrage die Zersplitterung im bürgerlichen Lager. Die Uneinigkeit der Allianz zwischen Zentrumspartei und den konservativen Moderaterna trat immer sichtbarer an die Öffentlichkeit.

 Die Moderaterna wechselten nach der Wahl 2014 zweimal den Vorsitz. Zunächst trat Fredrik Reinfeldt als Folge der starken Stimmverluste in Richtung Schwedendemokraten zurück. Seine Nachfolgerin Anna Kinberg Batra öffnete die Partei für eine erste vorsichtige parlamentarische Zusammenarbeit mit den weiter aufstrebenden Schwedendemokraten. Sie konnte aber den gordischen Knoten nicht lösen. Denn einerseits wollte sie liberale Großstadtwähler nicht an das Zentrum verlieren, andererseits auch nicht die konservativen und zuwanderungskritischen Wähler verprellen.  

Angesichts katastrophaler Umfragewerte und parteiinterner Kritik warf Kinberg Batra am 1. Oktober 2017 das Handtuch und wurde durch Ulf Kristersson ersetzt. Dieser verpaßte den Moderaten ein – verglichen mit den Reinfeldt-Jahren – konservativeres Profil. Vor allem will Kristersson zukünftig keine Partei mehr per se von Gesprächen ausschließen, was bei Zentrum und Liberalen auf Ablehnung stößt. 

Für den 54jährigen ist es daher schwierig, die auseinanderdriftenden Parteien in der Allianz zusammenzuhalten und eine Regierungsperspektive ohne die Mandate der Schwedendemokraten aufzuzeigen. Exemplarisch ist hier der IT-Skandal vom September 2017,  bei dem die bürgerlichen Parteien zunächst die Regierung Löfven mittels Mißtrauensvotum stürzen wollten, die Zentrumspartei sich aber schließlich weigerte, mit den Schwedendemokraten zu stimmen, so daß Löfven weiterregieren konnte.

Schwierige Regierungsbildung erwartet 

Die Schwedendemokraten zogen ursprünglich mit 12,9 Prozent Stimmanteil als drittstärkste Fraktion in den Reichstag ein und konnten ihre Umfragewerte auf relativ stabile 18 bis 22 Prozent in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ausbauen. Während ihrer zweiten Legislaturperiode stellten sich die Schwedendemokraten thematisch breiter auf und schlossen radikale und undisziplinierte Vertreter konsequent aus, die sich teilweise der Alternative für Schweden anschlossen (JF 34/18). 

Die Schwedendemokraten wollen nach der Wahl zum ersten Mal parlamentarischen Einfluß gewinnen und Verantwortung übernehmen und wurden durch den Parteivorsitzenden Jimmie Åkesson sowie den Fraktionsvorsitzenden Mattias Karlsson zunehmend darauf ausgerichtet.

Die dominierenden Wahlkampfthemen sind laut Langzeitbefragungen von Novus Sverigepanel Gesundheit, Zuwanderung, Bildung und Kriminalität, wobei die jüngsten Gewalteskapaden und Autobrände in den Großstädten die Schlußphase des Wahlkampfes prägen und laut Expressen SD und M zugute kommen könnten. Aktuelle Umfragen sagen der SAP ihr schlechtestes Wahlresultat aller Zeiten voraus. Sie kämen nur noch auf ein Viertel der Stimmen, während Schwedendemokraten und Moderate mit Werten zwischen 20 und 22 Prozent um Platz zwei ringen. Zentrum und Linkspartei liegen mit 9 bis 10 Prozent sicher über der Vier-Prozent-Sperrklausel. Die übrigen Kleinparteien MP, Liberale und Christdemokraten kämpfen um ihr parlamentarisches Überleben.

Da kein traditionelles Lager in den Umfragen über eine Regierungsmehrheit verfügt und nur die Christdemokraten und Moderaten Gespräche mit den Schwedendemokraten nicht generell im voraus ausgeschlossen haben, läuft es auf eine schwierige Regierungsbildung mit diversen Regierungsszenarien hinaus. So könnte die SAP alleine weiterregieren, wenn die Mitte-Rechts-Parteien inklusive SD keine Übereinkunft erzielen und dem Reichstagspräsidenten keinen Vorschlag zum Regierungschef unterbreiten können. Eine andere mögliche Konstellation ist der Blockwechsel von Zentrum und Liberalen und die Bildung einer sozialdemokratisch-sozialliberalen Minderheitenregierung mit der SAP. Die Zentrumspartei könnte hier ihre Asylpolitik mit dem linken Lager durchsetzen, allerdings dürfte diese Konstellation starke Differenzen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik aufweisen. 

Ulf Kristersson könnte durch zwei Konstellationen Ministerpräsident werden. Zum einen könnte die Allianz mit passiver Tolerierung durch SD oder durch Übereinkunft mit einer linken Partei eine Regierung bilden. Zum anderen würde ein schwaches Ergebnis des linken Lagers eine Alleinregierung der Moderaten oder ein Zweierbündnis aus M und KD ermöglichen, das von den Schwedendemokraten toleriert wird.