© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Der Schrotthandel geht weiter
Zehn Jahre Finanzkrise: Aus Schaden wenig gelernt
Curd-Torsten Weick

Begonnen als Immobilienkrise 2006 in den USA, weitete sie sich 2007/2008 zur Krise der Finanzbranche aus. Zur Jahreswende 2005/2006 sanken die Immobilienpreise in den USA merklich. Der Spekulationsblase auf dem US-Immobilienmarkt fing an die Luft auszugehen. Auch Deutschland wird hart getroffen. Bereits im Juli 2007 verliert die Sachsen LB über ihren irischen Ableger Ormond täglich zwei- bis dreistellige Millionenbeträge. Ende Juli 2007 steht die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB vor dem Zusammenbruch. Sie erhielt umfangreiche öffentliche Liquiditätshilfen und Garantiezusagen bis zu zehn Milliarden Euro, bevor sie für 150 Millionen Euro an einen US-amerikanischen Investor weiterverkauft wurde. In Vorstand und Aufsichtsrat saßen zahlreiche Politiker der SPD. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine forderte entsprechend Finanzminister Peer Steinbrück zum Rücktritt auf: „Er hat den Handel mit faulen Krediten nachdrücklich gefördert“, sagte Lafontaine der Berliner Zeitung . „Wenn man so will, ist er verantwortlich dafür, daß der Schrotthandel in Deutschland groß geworden ist, der die IKB pleite gehen ließ.“

Dieser Schrotthandel mit sogenannten hochspekulativen strukturierten Wertpapieren (CDO, Collateralized Debt Obligation) führte auch in Deutschland zahlreiche Banken an den Ruin. Bereits Mitte August 2007 kann die Sachsen LB nach massiven Verlusten mit einem in den USA investierten Fonds nur mit einem 17,3-Milliarden- Euro-Hilfspaket der Sparkassen-Finanzgruppe – allerdings nur kurzfristig – gerettet werden. Anfang April 2008 meldet dann die WestLB 1,6 Milliarden Euro Verlust. Laut NRW-Finanzministerium waren bis August 2012 Verluste von 18 Milliarden Euro zu verzeichnen. Davon entfielen allein drei Milliarden Euro auf den Bund und neun Milliarden auf das Land. Mit sechs Milliarden Euro waren die Sparkassen im Spiel. 

Auch die Münchner Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) konnte nur durch staatliche Kredite und Garantiezusagen in Höhe von insgesamt 124 Milliarden vor dem Untergang bewahrt werden. 


10. September 2008

Die durch die US-Immobilienkrise angeschlagene US-Bank Lehman Brothers erklärt, daß sie für das dritte Quartal 2008 mit Verlusten in Höhe von 3,9 Milliarden US-Dollar rechnet. 

15. September 2008

(Schwarzer Montag): Die Investementbank Lehman Brothers bricht zusammen. Alle Rettungsbemühungen waren zuvor an dem Nein der US-Regierung gescheitert, für die Bank weitreichende Garantien zu übernehmen. Die Investmentbank Merrill Lynch entgeht diesem Schicksal knapp durch einen Notverkauf an die Universal Bank of America. Die Aktienkurse stürzen ab, der US-Leitindex Dow Jones erlitt den stärksten Tagesverlust seit 9/11 im Jahr 2001.

16. September 2008

Die US-Versicherung American International Group (AIG) wird für vorläufig 85,5 Milliarden US-Dollar notverstaatlicht. Sie war in Schieflage geraten, weil sie im großen Stil Hypotheken über Kredit-Ausfallversicherungen (Credit Default Swap, CDS) rückversichert hatte. Im letzten Quartal 2008 sprengte die AIG alle bisherigen Grenzen und verbuchte mit 61,7 Milliarden US-Dollar den höchsten je von einem Unternehmen gemeldeten Verlust.

25. September 2008

Die größte Hypothekenbank Großbritanniens Bradford & Bingley wird verstaatlicht. Der Staat übernimmt Verbindlichkeiten in Höhe von 42,4 Milliarden Pfund. 191 Filialen und 141 Zweigstellen der Bank werden später für 612 Millionen Pfund an die spanische Banco Santander verkauft.

1. Oktober 2008

Die US-Regierung stellt zusätzliche 100 Milliarden Dollar für Hausbesitzer und Unternehmen bereit. Ingesamt sind es 250 Milliarden. 

5. Oktober 2008

Angesichts der Unruhe bei Bankenkunden und einer rasanten Anlegerflucht erklären Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück: „Die Spareinlagen sind sicher“. Überhaupt lehne es die Bundesregierung ab, von der Real Estate Group in eine „Art Mitverantwortung“ genommen zu werden. Allen Unkenrufen zum Trotz einigt sich die Bundesregierung am 13. Oktober auf ein Banken-Rettungspaket mit einem Volumen von 480 Milliarden Euro. Der Staat bürgt dabei mit bis zu 400 Milliarden. Weitere 80 Milliarden Euro werden für eine Beteiligung des Staates am Eigenkapital der Kreditinstitute bereitgestellt. 

3. Juli 2009

Um das nötige Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern zurückkehren zu lassen, beschließt der Bundestag das Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung. Banken können nun „Bad Banks“ gründen und strukturierte Wertpapiere (CDO, „Schrottpapiere“) an sie übertragen. Der Staat garantiert über den Bankenrettungsfonds SoFFin. 

9. Dezember 2010

Die Bundesregierung beschließt das Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung. Es soll dabei helfen, die Schieflage einer systemrelevanten Bank ohne Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems bewältigen zu können.

Eine ernüchternde Bilanz 

Im September 2017 betont der Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern Bonn, Martin Hellwig, daß sich die Finanzkrise von 2008 jederzeit wiederholen könne. Vor allem hätten die Kreditinstitute gelernt, daß sie notfalls vom Staat gerettet würden. Vor allem kritisierte er, daß die vielfältigen Maßnahmen der Bankenrettung „weitgehend der öffentlichen Diskussion entzogen“ gewesen seien. „Einige, wie das Bankenrestrukturierungsgesetz von 2010, konnten erkennbar nicht das leisten, was versprochen wurde, und mußten alsbald ergänzt werden. Und derzeit diskutieren wir über neue ‘Bad Banks’ für die faulen Kredite in den Büchern europäischer, auch deutscher, Banken. Die Risiken wird wieder der Steuerzahler tragen.“ Viele der Mechanismen, die das System 2008 in den Abgrund zu stürzen drohten, seien nach wie vor virulent, so Hellwigs Resümee.