© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Zeitschriftenkritik: Kursbuch
Bildungsferne Bildungsreformer
Dirk Glaser

Von Hans Magnus Enzensberger 1965 gegründet, von Suhrkamp verlegt, avancierte das Kursbuch im Handumdrehen zum Zentralorgan der „Außerparlamentarischen Opposition“ gegen das Establishment der Bonner Republik. Nach der schrofferen, neomarxistischen Ausrichtung und dem Ausscheiden Enzensbergers folgte 1970 der Verlagswechsel zu Wagenbach, dann zu Rotbuch und nach dem Mauerfall, mit dem zunächst alle linken Träume ausgeträumt schienen, 1990 zu Rowohlt, wo man 2008 das längst zahnlos gewordene Organ wegen Auflagenschwunds einstellte. 

Doch kam es 2012 zur wundersamen Auferstehung, als ein Sprößling der reinstes norddeutsch-christdemokratisches Establishment verkörpernden Unternehmerfamilie Murmann in seinem gleichnamigen Hamburger Verlag mit dem Kursbuch einen Neustart riskierte. Nun soll es nicht mehr linksideologisch um „letzte Wahrheiten“ gehen, sondern, wie der Programmchef Peter Felixberger im Branchenblatt BuchMarkt (31. Juli 2016) verkündete, lediglich um das „Sichtbarmachen unterschiedlicher Positionen“. Einem akademischen und intellektuellen Publikum wolle man jenseits des „Panikjournalismus“ Stoff zum Nachdenken liefern. Will soviel heißen wie: Der Leser soll alles verstehen, um nichts zu verändern.

Diesem Motto folgt auch das Frühjahrsheft zum Thema „Bildung“ (Kursbuch 193). Dazu finden sich, als die überflüssigste Zutat, zehn nichtssagende bundesdeutsche Schulkarrieren in autobiographischen Abrissen, darunter die Felixbergers, des Münchner Soziologen Armin Nassehi, der grauen Eminenz des Kursbuches,  sowie weiterer Schriftsteller und Wissenschaftler, die einst dem plietschen Rat gefolgt sind: „Sei schlau, bleib beim Überbau“. 

Über die eigentlich spannenden Bildungskontroversen, über den Karneval der Reformen seit den 1960ern, über „Bologna“ und „Pisa“, findet man eher wenig. Darunter das Beste steuern der Autor Georg von Wallwitz mit seinen Reflexionen über den Bildungswert der Mathematik und der Münchner Philosophie-Didaktiker Konrad Paul Liessmann bei, der resignativ Abschied von der „aussterbenden Art des Bildungsbürgers“ nimmt. 

Mangelnde Studierfähigkeit, so spottet Liessmann, disqualifiziert noch lange nicht für ein Studium. Könne man doch rationalitätslastige, logozentrische Lehrpläne, die viel zu lange auf die Vernunft toter  weißer Männer ausgerichtet waren, endlich umstellen auf das, was im modernen Leben wirklich benötigt werde, auf soziale und emotionale Kompetenzen. Vor einem damit drohenden Bildungsverlust hätten die bildungsfernen Heilsbringer unter den Bildungspropheten keine Angst. Wie die Entwicklung seit dem ersten Pisa-Alarm beweise, sind diese Damen und Herren beratungsresistent. Wenn es mit dem Lernziel Kompetenzen, mit Synergieeffekten und Classroom-Management nicht klappe, dann werde eben die nächste Sau durchs Dorf getrieben, die heute „Bildung 4.0 per Digitalisierung“ heiße.

Kontakt: Kursbuch Kulturstiftung gGmbH, Dr. Sven Murmann, Schopenstehl 15, 20095 Hamburg. Das Einzelheft kostet 19 Euro. 

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