© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Eine Kleinstadt in Aufruhr
Köthen: Erneut starb ein junger Mann nach Streit mit Asylbewerbern / Politiker warnen vor Rechtsextremisten
Björn Harms

Die Wogen aus Chemnitz sind noch immer nicht geglättet, da erschüttert bereits der nächste Todesfall eines jungen Deutschen, der zuvor mit Asylbewerbern in Konflikt geraten war, die Bundesrepublik. Tatort der tödlichen Auseinandersetzung am vergangenen Samstag: die anhaltinische Kleinstadt Köthen. Genaue Details des Tathergangs sind noch nicht restlos geklärt, doch die aufgeheizte Stimmung der vergangenen Wochen, insbesondere in den neuen Bundesländern, scheint sich weiter zuzuspitzen.

Ersten Erkenntnissen der Polizei zufolge wollte der 22 Jahre alte Markus B. einen Streit zwischen drei Afghanen schlichten. Diese hätten sich auf einem Spielplatz darum gestritten, wer der Vater eines ungeborenen Kindes sei – unter Beisein der schwangeren Deutschen. Doch das Eingreifen des jungen Kötheners wurde ihm offenbar zum Verhängnis.

Es sei zu einer Schlägerei gekommen, in deren Folge die Afghanen Markus B. mehrfach gegen den Kopf getreten hätten. Laut Zeugenaussagen soll B., der einen Herzschrittmacher trug, mehrfach gerufen haben: „Hört auf, ich kriege keine Luft mehr.“ Erst als weitere Bekannte herbeieilten, flüchteten die Afghanen, heißt es im Polizeibericht. Zwei von ihnen seien jedoch wenig später gestellt worden. Gegen einen 18jährigen wird nun wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt, gegen einen 20jährigen Tatverdächtigen wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Sie sitzen derzeit in Untersuchungshaft.

Tags darauf teilte die Staatsanwaltschaft mit, Markus B. sei an einem Herzversagen gestorben. Das habe die Obduktion ergeben. Das akute Herzversagen stehe demnach „nicht im direkten kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen“ durch die Tritte.

20jähriger Afghane war ausreisepflichtig

Noch am selben Abend beteiligten sich rund 2.500 Personen an einem spontanen Trauermarsch für das Opfer. Zu den friedlichen Demonstranten aus Köthen gesellten sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden auch rund 400 bis 500 Rechtsextreme aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen, unter ihnen auch Ex-NPD-Mann David Köckert, Kopf des Thüringer Pegida-Ablegers Thügida. In einer Rede warnte er vor einem drohenden „Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“ und fragte die Anwesenden: „Wollen wir weiter Schafe sein oder wollen wir zu Wölfen werden und sie zerfetzen?“

Wie die Polizei in Dessau-Roßlau  mitteilte, werde der Staatsschutz nun Redebeiträge aus dem Demogeschehen auf strafbare Inhalte prüfen. Es gehe unter anderem um den Vorwurf der Volksverhetzung, sagte eine Sprecherin.

Der Köthener Oberbürgermeister Bernd Hauschild (SPD) hatte zuvor auf Facebook von einer Teilnahme an dem Trauermarsch abgeraten, da ihm „Informationen vorliegen, daß auch gewaltbereite Gruppen von außerhalb Köthens in großer Zahl anreisen werden“. Köthen solle kein zweites Chemnitz werden.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderte im Anschluß an die Demo einen deutschlandweiten Kampf gegen Rechtsextremismus. An den Nummernschildern der Anreisenden zum Trauermarsch für das Opfer habe man erkennen können, daß bundesweit zu der Veranstaltung mobilisiert worden sei, sagte Haseloff vor dem CDU-Präsidium in Berlin. „Demzufolge ist es keine Problematik einer einzelnen Stadt, eines einzelnen Landes. Die gesamte Nation ist jetzt gefordert“, unterstrich der CDU-Politiker.

Am Montag versammelten sich erneut rund 550 Demonstranten zu einem stillen Gedenken. Aufgerufen hatte die AfD, gekommen waren unter anderem der Landtagsabgeordnete André Poggenburg, ebenso sein Fraktionskollege, der Kreisvorsitzende für Anhalt-Bitterfeld, Daniel Roi. Nach einer Schweigeminute und einer kurzen Kundgebung auf dem Köthener Markt zogen die Teilnehmer durch die Innenstadt zu dem Spielplatz, auf dem sich der Streit ereignet hatte. Auf einem Spruchband, das vornweg getragen wurde, stand: „Wir trauern um einen Menschen!“

Anschließend legte die AfD Sachsen-Anhalt im Gedenken an Markus B. einen Kranz nieder. In einer kurzen Ansprache verurteilte Roi die derzeitige Medienberichterstattung und zweifelte die bisherige offizielle Darstellung der Behörden zu den Ereignissen von jenem Samstagabend an. Gleichzeitig kritisierte er den fahrlässigen Umgang der Behörden mit den Tatverdächtigen.

Während der 18jährige Afghane zwar polizeibekannt, aber asylberechtigt ist, hätte sein 20jähriger Landsmann längst abgeschoben werden sollen. Einen entsprechenden Antrag habe der Landkreis Anhalt-Bitterfeld bereits am 17. April an die Staatsanwaltschaft gestellt, gab Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) am Montag zu Protokoll. Wegen damals laufender Ermittlungen gegen ihn habe die Staatsanwaltschaft dem Gesuch aber zunächst nicht zugestimmt.

Nach Justizangaben ging es bei den Ermittlungen um eine gefährliche Körperverletzung sowie zwei kleinere Delikte. Ende August habe der Kreis den Antrag auf Abschiebung erneut gestellt, am 6. September habe die Staatsanwaltschaft schließlich zugestimmt. Derart kurzfristig sei eine Abschiebung jedoch nicht möglich gewesen. „Wir hätten ihn am Freitag nicht abschieben können. Das kriegen sie bei aller Liebe auch nicht hin“, rechtfertigte sich Stahlknecht.