© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Ländersache: Nordrhein-Westfalen
Rheinisches Harmagedon
Karsten Mark

Sie alle haben lustige Spitznamen: „Gonzo“ oder „Momo“ nennen sie sich, wenn sie Sympathisanten und Journalisten durch ihre „Dörfer“ führen. Nur daß sie jedesmal Sturmhauben überziehen, wenn eine Kamera auftaucht, will nicht so recht ins Wald-Idyll passen. 

Den phantasievollen Namen nach könnten auch ihre Baumhaus-Kolonien glatt einem Kinderbuch entsprungen sein: „Oaktown“, „Gallien“ und „Lorien“ sind aber keine Ferienlager für abenteuerlustige Studenten, sondern hochpolitisierte Widerstandsnester in luftiger Höhe. Mehrere Dutzend Braunkohlegegner, fast alle jünger als 30 und viele von ihnen Frauen, harren zum Teil schon seit Jahren in rund 60 Baumhäusern in den Wipfeln des Hambacher Forsts, einem Waldstück im rheinischen Braunkohlerevier zwischen Köln und Aachen, aus. Und während sie jahrelang für anheimelnde Reportagen über leicht spinnerte, aber doch irgendwie sympathische, idealistische, junge Leute gut waren, herrscht nun große Unsicherheit darüber, wie viele gewaltbereite Linksextremisten unter ihnen sind. Etwa jeder fünfte, schätzt der Verfassungsschutz, und befürchtet Verstärkung aus den Nachbarländern. 

Denn nachdem der Energiekonzern RWE in der vergangenen Woche im Wald aufgeräumt und auch zwei Bäume „zur Sicherung der Fahrwege“ gefällt hatte, riefen die Öko-Aktivisten am vergangenen Wochenende bereits den „Tag X“ aus, für sie eine Art Harmagedon im Kampf gegen den Klimawandel. Doch der große Aufstand blieb bislang aus. RWE hat zugesichert, frühestens am 14. Oktober mit der Rodung zu beginnen. 

Angriffe auf Polizisten hat es indes bereits gegeben, mit Fäkalien aus der Höhe, aber auch mit Böllern und Steinen. Der Hambacher Forst gilt nun offiziell als „gefährlicher Ort“. „Wer Steine auf Polizisten oder auf andere Menschen schleudert, ist schlicht und einfach ein Verbrecher“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Einige der Aktivisten wollten „nicht die Bäume retten, sondern unseren Staat abschaffen“.

Der Forst hat seinen Namen vom Nachbarort Hambach, nach dem auch der größte rheinische Braunkohle-Tagebau benannt ist, an dessen etwa 400 Meter tief abfallender Abbruchkante sich noch ein kleiner Rest des einst rund 12.000 Hektar großen Waldgebiets befindet. Von den verbliebenen 200 Hektar will der Betreiber des Tagebaus, der Energiekonzern RWE, vorerst gut die Hälfte roden. Die Schlacht ist eigentlich längst geschlagen. Selbst wenn – wie es Umweltverbände, Bürgerinitiativen und die nordrhein-westfälischen Grünen fordern – die Braunkohlebagger sofort gestoppt würden, ließe sich der Rest-Wald wohl nicht mehr retten. 

„Wenn die Politik beschließen würde, noch heute aus der Braunkohle auszusteigen, müßten die Tagebaue um einige hundert Meter in alle Richtungen vergrößert werden, um die Böschungen so abzuflachen, daß sie in den kommenden Jahrhunderten stabil bleiben“, sagte Andreas Nörthen, ranghöchster Bergbaubeamter in Nordrhein-Westfalen, gegenüber der Aachener Zeitung. Die NRW-Grünen ficht das nicht an. Am 7. Oktober möchten sie ihren Kleinen Parteitag im Hambacher Forst veranstalten. Ihr Protest gegen den Tagebau ist um so kurioser, da die Genehmigung für den Kohleabbau unter dem Forst 2016 noch von der rot-grünen Vorgängerregierung stammt.