© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Grundgesetzgütiger!
Verfassungsschutz I: Weil die AfD nach rechts gerückt sein soll, wird der Ruf nach dem Nachrichtendienst lauter / Partei plant Gegenstrategie
Christian Vollradt

Das Damoklesschwert schwebt über der AfD. Droht der Partei eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz? „Derzeit sind keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Beobachtung der AfD als Partei durch den Verfassungsschutzverbund begründen würden“, hatten die Behördenleiter bei einer Tagung im März gemeinsam festgestellt. Dieser Konsens scheint ein halbes Jahr später zu bröckeln, wenn auch nicht mit Blick auf die Gesamtpartei, sondern nur auf einzelne Teilorganisationen oder Landesverbände. 

Nachdem Anfang vergangener Woche die Landesverbände Bremen und Niedersachsen der Jungen Alternative (JA) ins Visier der zuständigen Ämter geraten waren (JF 37/18), wurde kurz darauf bekannt, daß der Thüringer Verfassungsschutz den dortigen Landesverband der Partei als „Prüffall“ einordnet. Ab sofort will Behördenchef Stephan Kramer seine Mitarbeiter systematisch offen zugängliche Unterlagen und Informationen über die Thüringer AfD sammeln und auswerten lassen. Nach einem halben bis einem Jahr will der Verfassungschutz dann entscheiden, ob der Landesverband zum Beobachtungsobjekt erklärt wird oder nicht. Grund für diese Prüfung seien neben zurückliegenden Äußerungen von Landessprecher Björn Höcke auch die jüngsten Kooperationen mit Pegida, etwa beim Schweigemarsch in Chemnitz.

Mit dieser Ankündigung zeige die rot-rot-grüne Landesregierung „vor allem den Willen, die Verfassungsschutzbehörde politisch zu instrumentalisieren“, kritisiert Höckes Co-Vorsitzender Stefan Möller das Vorgehen. „Nicht Äußerungen einzelner AfD-Mitglieder bedrohen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit unseres demokratischen Rechtstaats, sondern das konsequent einseitige Verhalten der eigentlich zur Neutralität verpflichteten Landesregierung“, heißt es in seiner Erklärung weiter. So untergrabe die Landesregierung „das Vertrauen der Bürger in die Demokratie und ihre Institutionen“. Doch nach Kenntnis der JUNGEN FREIHEIT gibt es auch vereinzelte Stimmen in Thüringer Fraktionskreisen, die das etwas anders sehen: Wer so rede und so schreibe wie Björn Höcke, dürfe sich über das Vorgehen des Verfassungsschutzes nicht wundern. 

Hatte Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland vergangenen Mittwoch in der FAZ noch bekannt, er habe vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz keine Angst, da dies der AfD nur noch mehr Stimmen bringen werde, teilten andere in der Partei diese ostentative Gelassenheit nicht. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagte die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel am Dienstag vor Journalisten. Man habe darüber ausgiebig im Fraktionsvorstand beraten und wolle in der Partei eine Kommission einsetzen, um eine „Gegenstrategie sowohl auf juristisch-organisatorischer als auch auf der öffentlich-kommunikativen Ebene“ zu entwickeln. Denkbar sei dabei eine Klage gegen die Beobachtung – sollte es zu einer solchen kommen. Parteiintern werde zudem die Einsetzung von „Sonderermittlern“ erwogen, falls entsprechende Vorgänge dies erforderten. 

„Niedersachsen ist wohl nicht zu retten“

Weidel nannte es jedoch auch bezeichnend, daß ausgerechnet aus den Parteien, die ihrerseits den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verließen, die Forderung nach Beobachtung der AfD erhoben werde. Wenn etwa eine Mitarbeiterin von SPD-Chefin Andrea Nahles fordere, die Sozialdemokraten müßten sich an die Seite der Antifa – und damit von gewaltbereiten Linksextremisten – stellen, dann beweise das, wie es um unsere Demokratie bestellt ist, kritisierte die AfD-Fraktionsvorsitzende mit Blick auf einen Beitrag von Angela Marquardt im SPD-Organ Vorwärts. Klar sei, daß der Verfassungsschutz hier als Mittel im parteipolitischen Kampf mißbraucht werde, so Weidel. „Der Druck wird größer, je erfolgreicher die AfD ist.“

Umstritten ist innerhalb der Partei weiterhin das Verhältnis zu Pegida. Rückblickend auf die Demonstration in Chemnitz, bei der sich mehrere Landesvorsitzende Seite an Seite mit Pegida-Mann Lutz Bachmann gezeigt hatten, haben die beiden Vorsitzenden des AfD-Konvents, der Bundestagsabgeordnete Kay-Uwe Gottschalk und der sächsische Landtagsabgeordnete Carsten Hütter in einem Schreiben bekräftigt, daß sich dennoch die „Beschlußlage des Bundesvorstandes und des Bundeskonvents“ im Verhältnis zu Pegida nicht verändert habe. Dies geschah offenbar nicht zuletzt auf Druck des Berliner Landesverbandes, der damit dem in vielen Medien verbreiteten Anschein eines „Schulterschlusses“ entgegentreten wollte.

Alexander Gauland gestand am Dienstag, Pegida sei ein „schwieriger Fall“. Einzelne Ost-Landesverbände sähen die Sache nicht so eindeutig wie der Bundesvorstand und würden mit dem Dresdner Bündnis kooperieren. Mit Blick auf Bachmann stellte der Parteichef indes fest: „Mit einem Kriminellen kann man natürlich nicht für den Rechtsstaat eintreten.“

Der Fraktionsvorsitzende stellte hinsichtlich des geplanten Ausschlusses des niedersächsischen Landesverbands der Jungen Alternative seine Unterstützung für den Kurs des JA-Bundesvorsitzenden Damian Lohr in Aussicht. „Wahrscheinlich werde ich selbst beim Bundeskongreß dazu Stellung beziehen“, kündigte Gauland an. „Niedersachsen ist wahrscheinlich nicht mehr zu retten.“