© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Am falschen Ende angepackt
Immobilienmarkt: Das großkoalitionäre Baukindergeld soll die Wohnungsknappheit bekämpfen
Henning Lindhoff

Wohnraum ist knapp in den Boomtowns und den Speckgürteln der Großstädte. Die Preise klettern wegen steigender Nachfrage unaufhörlich: Hatte Deutschland 2012 noch 80,4 Millionen Einwohner, waren es 2017 schon 82,8 Millionen. Und: „Wir brauchen langfristig jedes Jahr 400.000 Zuwanderer netto, um den Bedarf der Unternehmen dauerhaft zu decken“, mahnte Detlef Scheele (SPD), Chef der Bundesagentur für Arbeit, in der Welt am Sonntag. Bei einem Geburtendefizit von 118.000 (2017) wären das jährlich 282.000, die neu auf den Wohnungsmarkt drängen – Familiennachzug und humanitäre Flüchtlingsaufnahmen nicht mitgerechnet.

„Ich erwarte, daß 2050 in Deutschland 93 Millionen Menschen leben werden. Vielleicht sogar noch mehr“, prognostizierte der Unternehmensberater Hermann Simon in der Zeit. Was also tun gegen die Wohnungsmisere? „Die Mietpreisbremse wird deutlich angeschärft“, versprach Justizministerin Katarina Barley (SPD) im Deutschlandfunk. Es werde einen „massiven Aufbau im sozialen Wohnungsbau“ und das Baukindergeld geben, um jungen Familien zu ermöglichen, leichter Wohneigentum zu bilden.

Gutverdiener finanzieren ihre Fördermittel selbst

Der Immobilienmarkt hat die CSU-Idee Baukindergeld offenbar schon eingepreist: Im zweiten Quartal 2018 sind die Preise für Einfamilienhäuser um 6,5 und für Eigentumswohnungen um 4,5 Prozent gestiegen. Ein Grund für diese Entwicklung sei das rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft tretende Baukindergeld, sagt Bernd Leutner von der Immobilienberatungsfirma F+B.

Familien sollen beim Immobilienbau bzw. -kauf zehn Jahre lang mit 1.200 Euro je Kind und Jahr unterstützt werden. Das Einkommen darf nicht höher als 75.000 Euro plus 15.000 Euro pro Kind liegen. Ein Beispiel: Ein angestellter leitender Oberarzt verdient laut Tarif 8.561 Euro monatlich. Bei Frau und zwei Kindern sind das netto 5.452 Euro, denn neben der Sozialversicherung müssen jährlich 23.737 Euro an den Fiskus abgeführt werden. Sprich: Die 24.000 Euro Baukindergeld hat der Oberarzt in einem Jahr praktisch selbst finanziert. Ein Facharzt braucht dafür zwei Jahre.

Warum werden Familien nicht durch einen höheren Steuerfreibetrag gefördert? Zweckbindungen wie beim Baukindergeld stärken den paternalistischen Charakter des Wohlfahrtsstaates und befeuern seine Ineffizienz. Das Baukindergeld ist zudem eine Sozialleistung für diejenigen, die eine Unterstützung aus den Geldbörsen der Steuerzahler kaum benötigen: Mittelschichtsfamilien und Gutverdiener, die eine Immobilie kaufen oder bauen möchten. Ein Krankenpfleger mit Familie (Tarifgehalt: 2.400 Euro) kommt auf 1.837 Euro – davon läßt sich kein Haus finanzieren. Mit 792 Euro Jahreslohnsteuer hilft ihm auch kein höherer Steuerfreibetrag.

Solche Familien leiden aber am stärksten unter der Knappheit an bezahlbarem Wohnraum. „Umverteilung verläuft von den Rändern der Einkommensskala zur Mitte hin“, kritisiert Oliver Pamp (LMU München) in seiner Studie „Einkommensungleicheit und Umverteilung: der Sog der Mitte“. Das „Director’s Law“, benannt nach dem US-Ökonomen Aaron Director, besagt, daß der Großteil wohlfahrtsstaatlicher Programme der Mittelschicht zugute kommt, aber vor allem aus Steuern der oberen und unteren Einkommensgruppen finanziert wird.

Zielführender wäre eine Stärkung der Angebotsseite, um mit dem politisch gewollten Bevölkerungszuwachs mitzuhalten. Die SPD fordert in einem Zwölf-Punkte-Plan eine „nachhaltige Bodenmobilisierung“ und Baurechte mit Baupflichten zu verbinden: „Wenn die öffentliche Hand Grundstücke verkauft, soll eine Baupflicht im Kaufvertrag festgeschrieben werden.“ Ein Flächen- und Immobilienregister solle ausweisen, „welche Flächen bebaut werden könnten, aber nicht genutzt werden“. Naiv klingt der „Sozialpakt“: „Wer im Interesse der Mieter baut und nicht nur für den eigenen Profit, soll vom Staat unterstützt werden. Dieser kann private Unternehmen, die sich zu bestimmten solidarischen Kriterien verpflichten, etwa durch Steuervorteile und günstigeres landeseigenes Bauland bevorzugen.“ Die Forderung, die Mieten „in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten für fünf Jahre nur in Höhe der Inflation“ ansteigen zu lassen, bringt der SPD in München oder Frankfurt vielleicht Wählerstimmen. Ein Mietenstopp schafft aber keine Wohnungen, sondern schreckt Investoren ab.

Hohe Grunderwerbsteuer und Klimaschutzauflagen

Auch die Grunderwerbsteuer verteuert Neubauten. Von 2006 bis 2015 stieg ihr Aufkommen von sechs auf elf Milliarden Euro (IW Policy Paper, 14/15). Für 2018 werden 14,6 Milliarden Euro erwartet (JF 10/18). Wer sich in NRW eine Immobilie für 300.000 Euro kauft, zahlt 19.500 Euro Grunderwerbsteuer. Doch statt einer Steuerabschaffung für alle verlangt die SPD, nur den Steuertrick „Share Deals“ (Objekte in eine Firma überführen und dann Firmenanteile steuerfrei verkaufen) zu verbieten. Die Grunderwerbsteuer begünstigt zudem die Weiternutzung in den bisherigen Eigentumsverhältnissen, auch wenn Änderungen eintreten, etwa in Form von Umnutzungen und Neubebauungen.

Die SPD will das „Bestellerprinzip bei Maklergebühren auch beim Erwerb von Immobilien“ einführen – das klingt käuferfreundlich. Doch bei „angespannten Wohnungsmärkten“ wird das in der Praxis indirekt auf den Kaufpreis draufgeschlagen. Der Krankenpflegerfamilie bringt das alles nichts. Ihr wäre mit einem höheren Wohngeld eher geholfen.

Ein noch viel teureres Problem sind die gestiegenen Klimaschutzauflagen. Allein die Energieeinsparverordnung von 2016 hat zu einer Verteuerung von acht Prozent im Wohnungssektor geführt, klagt Andreas Ibel, Chef des Immobilienverbandes BFW. Auch die Kapazitätsauslastung in der Bauindustrie läßt die Baupreise steigen. Und die staatliche Interventionsspirale verschlimmert ein zu lösendes Problem mit jeder Drehung.

Überblick zum geplanten Baukinder­geld:  www.kfw.de