© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Ham’ses nich ne Numma kleener? Jedenfalls nicht der „Süddeutsche Beobachter“, der den Autor Thilo Sarrazin anläßlich seines neuen Buches „Feindliche Übernahme“ vorsorglich für den Tatbestand „Ethnischer Weltbürgerkrieg“ in Haftung nimmt. Leider komme ich bei der Buchvorstellung nicht mehr dazu, offiziell die Frage zu stellen, ob Sarrazin jetzt die Auslieferung an den Internatinalen Strafgerichtshof in Den Haag fürchten müsse. Damit ist er nicht allein: Fürchten muß sich auch die deutsche Wissenschaft vor Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“. So ereifern sich am U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz alte Marxisten aus Ost- und West-Berlin, die gerade von der Veranstaltung „Hauptsache links!“ kommen und hier endlich zusammengefunden haben: Wer kein marxistisch geschulter Dialektiker sei, kenne keine Wahrheit und müsse daher die Universitäten verlassen. Auch mich ergreift die Furcht, als ich im West-Sektor zum wiederholten Mal verladen werde: Zunächst mit dem diskreten Hinweis, mich hätten Café-Gäste observiert, die mich nun wegen Antisemitismus und Volksverhetzung anzeigen würden – immerhin hatte ich vor Jahren keine Meldung erstattet, als mir der israelische Kellner liebevoll ein Hakenkreuz auf die Oberfläche des Café Crème gemalt hatte. Natürlich war es ein Witz, so auch diesmal: Angeblich soll dessen Nachfolgerin, Sängerin einer Punkband, zum Anti-AfD-Konzert in Chemnitz aufspielen. Auf mein Kopfschütteln belehrt mich der Koch: „Du kannst nur für eine Seite sein, wenn du dir die andere Seite angeguckt hast.“


Ist es Zufall? Ausgerechnet an 9/11 überhole ich auf dem Gehweg zwei Typen. Einer von beiden scheint sehr frustriert über jemanden, „der es aber nicht (ganz) konstruktiv zum Einsturz bringt“. Da hilft nur Sigmund Freud: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Erst kürzlich unterrichtete mich ein deutscher Urban-Ground-Guerillero über das „Prinzip USA: Unsicherheit, Schuldgefühle, Angst.“


Das in einer Villa am Wannsee residierende Literarische Colloquium zeigt die letzte Vorstellung des Zuckmayer-Lustspiels „Der Fröhliche Weinberg“ (Regie: Christian Filips), dem, so ein Kritiker, „jedes Timing fehlt“, und dem zahllose Propaganda-Floskeln beigemischt sind, etwa als der AfD-Wahlslogan („Neue Deutsche? Machen wir selber.“) lächerlich gemacht wird und die delirierenden jüdischen Weinhändler „ausländisches Sperma!“ fordern, woraufhin sich das Publikum zu jubelnden Beifallsbekundungen hinreißen läßt. Und in der Tat: Todsicher reimt sich jetzt auch Klöten auf Köthen.