© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Blick in die Medien
Watson ist nicht Sherlock
Tobias Dahlbrügge

Watson.de ist ein deutsches „Newsportal“ für junge, urbane Leute (JF 15/18). Auch über die Demonstrationen in Chemnitz berichtete das Online-Magazin und erntete dafür viel Lob aus der Branche. Das Foto eines Lumpenproletariers, der den Hitlergruß zeigte, wurde dabei zum Symbolbild für den angeblich kollektiven Rechtsextremismus der Protestler. Aufmerksame Spürnasen bemerkten auf dessen Handrücken ein R.A.F.-Schriftzug, was in sozialen Medien die Theorie eines „Agent Provocateur“ und einer „False-Flag-Operation“ zur gezielten Diskreditierung der Demonstranten entstehen ließ. Watson meldete darauf, das Bild sei eine Montage. Diese Darstellung wurde von anderen Medien wie T-Online übernommen.

Nun stellte sich heraus: das Bild ist echt und keine Fälschung. Ob das Kürzel der linksterroristischen Roten Armee Fraktion tätowiert oder nur aufgemalt war, bleibt unklar. Fest steht aber: es war zu sehen.

Watson und T-Online entschuldigten sich – die Fehler hätten nicht vorkommen dürfen. 

Watson entschuldigte sich wortreich bei seinen Lesern. Man habe einen Fehler gemacht, der nicht hätte vorkommen dürfen. Man hätte weiter recherchieren und weitere Quellen kontaktieren müssen, so etwas solle in Zukunft nicht mehr vorkommen. T-Online übernahm die Entschuldigung wortgleich. Doch so ganz möchten die „Qualitätsmedien“ nun doch nicht zurückrudern: Man könne zwar nicht ausschließen, daß der Mann ein Provokateur gewesen sei, doch ein Kamerateam des Sat.1-Magazins „Akte“ habe den Mann angeblich ausfindig gemacht und im Treppenhaus seiner Wohnadresse „neonazistische Aufkleber“ erkannt.

Egal, ob der ungepflegte Typ mit dem Schlabber-Kapuzenpulli ein linker Provokateur ist oder bloß ein aufmerksamkeitshungriger Alkoholiker – gewiß ist er nicht der stramme Vorzeige-Neonazi, zu dem man ihn stilisieren wollte. Entschuldigung darum nur bedingt angenommen.