© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Das Angebot ist ein Witz
Die Online-Funktionen des Personalausweises werden kaum genutzt
Bernd Rademacher

Digitalisierung first, Bedenken second“ hatte die Werbeagentur der FDP im Wahlkampf getextet. Die Partei beklagt: „Während sich andere Länder mit zukunftsweisenden Technologien beschäftigen, hinkt Deutschland selbst bei den Grundlagen hinterher.“ Dazu passend hat der Lindner-Club einen jährlichen „Digitalisierungsmonitor“ initiiert, sozusagen als regelmäßige Abfrage, wie es denn mit dem Ausbau in „Neuland“ vorangeht. Bislang ist die Bilanz ziemlich mau.

Ein Beispiel ist die Online-Funktion des Personalausweises. Angeblich kann der „eAusweis“ viele nützliche Dinge und sollte damit Behördengänge sparen. Doch laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der FDP nutzt diese Möglichkeit fast niemand.

Zwei Drittel der Deutschen besitzen inzwischen den neuen, 2010 eingeführten Personalausweis im Scheckkartenformat. Nur fünf Prozent davon haben auch das für die Online-Dienste nötige Lesegerät. Und von diesen hat nur die Hälfte es wenigstens einmal benutzt. Die Gründe sind vielfältig: 44 Prozent der Nichtnutzer sehen schlicht keinen Bedarf. 14 Prozent bevorzugen den persönlichen Kontakt und 12 Prozent bemängeln fehlende Angebote. Drei Viertel wünschen sich ein zentrales Portal für Behördenangelegenheiten.

Auf dem Ausweis-Chip sind persönliche Daten, das Paßbild und auf Wunsch Fingerabdrücke gespeichert. Theoretisch können sich Bürger mit diesen Daten und einer PIN einem Amt gegenüber ausweisen und ihre Angelegenheiten online abwickeln, etwa die Steuererklärung einreichen oder Urkunden beantragen.

In der Praxis läuft das „E-Government“ aber nicht hürdenfrei. So entscheidet jedes Kommunalamt selbst, welche Funktionen es anbietet – was davon abhängt, welche es technisch unterstützen kann. Eine Datenübermittlung zwischen verschiedenen Ämtern wird zudem durch die Datenschutzbestimmungen blockiert. Außerdem ergibt die digitale Kommunikation wenig Sinn, wenn die Behörde auf Vorlage einer Geburtsurkunde auf Papier besteht.

Die Einsatzmöglichkeiten sind bisher stark begrenzt: Das Finanzamt macht mit, man kann seine Punkte in Flensburg anzeigen lassen, und eine Petitionsplattform ist auch dabei. Warum es gleich mehrere Angebote für den Bafög-Antrag gibt, ist verwirrend. Insgesamt ist das Angebot kläglich. Dazu kann schon die Beantragung einer PIN ein echtes Geduldsspiel werden. In den meisten Bürgerämtern rollen die Angestellten nur genervt mit den Augen, wenn man nachfragt, ob viele Leute die Onlineverwaltung nutzen. Offenbar haben die Erfinder des Online-Ausweises eines nicht bedacht: Die Deutschen gehen einfach  gerne auf Ämter.

Wichtiger ist der Breitbandausbau

Gesamturteil: Zu kompliziert für Durchschnittsnutzer, ein nicht vorhandenes Marketing, keine wirklich attraktiven Funktionen. Außerdem nervt die völlig unterschiedliche Unterstützung in Gemeinden und Bundesländern. Als erstes könnte man mal die 15 Euro „Aktivierungsgebühr“ abschaffen.

Einige Bürger fürchten obendrein eine Fernausspähung durch den Chip und mißtrauen dem digitalen System von vornherein. Im Internet kursieren sogar Videoanleitungen zur Zerstörung des Datenchips im Mikrowellenherd (Vorsicht, gefährlich!).

Der überwiegende Teil sieht in der Digitalisierung Vor- und Nachteile, glaubt aber, daß insgesamt die Vorteile überwiegen. Trotz dieser positiven Grundstimmung geht die gegenwärtige Bundesregierung die Herausforderung viel zu zögerlich an – vor allem der ländliche Raum gerät dabei ins Abseits. Schnelles Internet first – eAusweis second!