© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Der Flaneur
Berliner Schnauze
Elke Lau

Turbulente und ereignisreiche Jahre sind ins Land gegangen, seit wir Berlin verlassen hatten. Dennoch ist uns das Heimweh treu geblieben. Es überfällt uns meist dann, wenn schnoddrige Berliner Sprüche fallen, die an Schlagfertigkeit kaum zu überbieten sind.

Heute ist es mal wieder nötig, unsere Wunderwaffe gegen diese „Attacken“ einzusetzen: Tageskarte für den Regionalzug, die sogenannte Ferkeltaxe, zum Berliner Hauptbahnhof. Von dort zu Fuß in Richtung Ku’Damm. Erste Rast in einem Café. Hinter uns sitzen zwei Damen bei Kaffee und Likörchen, als die Bedienung mit zwei Tellern erscheint. „Wer bekommt das Tortenstück für Holzfäller?“ fragt sie burschikos. „Ick“, sagt die Dickere der beiden Frauen. Ihre zierliche Freundin will ihr ein schlechtes Gewissen einreden: „Du denkst überhaupt nicht an deine Gesundheit.“ Die Dicke lakonisch: „Frißte dit, stürbste – frißte dit nich, stürbste ooch.“

„Wenn dit ihre U-Bahn is, muß die sowieso warten“, antwortet die Verkäuferin ungerührt.

Um auf alten Spuren zu wandeln, wollen wir mit der U-Bahn nach Tegel fahren. Fahrscheine gibt es im Zeitungsladen kurz vor der Zugangstreppe zu kaufen. Die Verkäuferin zählt gerade den Inhalt ihrer Kasse und nimmt keinerlei Notiz von uns. „Machen Sie mal hinne, unsere U-Bahn fährt gerade ein“, sage ich im Ton der Stadt. „Wenn dit ihre U-Bahn is, muß die sowieso warten“, antwortet sie ungerührt und zählt weiter.

Als wir in Tegel aussteigen, empfängt uns dichtes Getümmel. Menschen strömen in Gaststätten, Eisdielen, von oder zu Dampferanlegestellen. Wir entscheiden uns gegen eine Rundfahrt auf dem Tegeler See, denn ein gut besuchtes, rustikales Restaurant lädt zum Mittagessen ein. Mit viel Glück erwischen wir zwei freie Plätze, direkt neben einer fröhlichen Herrenrunde. Ein Kellner bringt die Speisekarte: „Ich würde Ihnen ‘Zunge spezial’ empfehlen.“ „Igitt“, sage ich kopfschüttelnd, „was ein anderer schon im Mund hatte.“„Ach, dann essen Sie wohl lieber Eier.“ Danke, Berlin.