© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Kehrt marsch!
Zurück zu den Wurzeln: Die Bundeswehr soll wieder kämpfen können
Peter Möller

Die Zahlen sind eindrucksvoll: Mit fast 10.000 Soldaten und mehr als 4.000 Fahrzeugen und Panzern beteiligt sich die Bundeswehr an der Ende Oktober beginnenden Nato-Großübung „Trident Juncture 2018“ in Norwegen. Am vergangenen Sonntag wurde in Emden medienwirksam das erste Transportschiff mit 300 Fahrzeugen und 95 Containern für die Fahrt in den hohen Norden beladen. Ziel dieser größten Übung seit 2002 ist es laut Bundeswehr, die rasche Krisenreaktionsfähigkeit, strategische Mobilität und die Fähigkeit zur streitkräftegemeinsamen Operationsführung der Nato zur Verteidigung des Bündnisgebietes zu Lande, zu Wasser und in der Luft zu überprüfen.

So eindrucksvoll die Zahlen sind, so groß ist der Kraftakt für die Truppe, genügend funktionsfähiges Material bereitzustellen. Denn seit Jahren ächzt die Bundeswehr nicht nur unter Personalmangel, sondern auch unter zu wenigem und vielfach veraltetem Material. Aufgrund fehlender Ersatzteile ist zudem die Einsatzfähigkeit stark eingeschränkt. Damit eine Einheit einsatzfähig ist, muß sie ihr Material im Bedarfsfall mühsam bei anderen Truppenteilen zusammensuchen.

Auch die ständige Umstrukturierung hat der Truppe arg zugesetzt. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Bundeswehr quasi eine Armee in Bewegung. Eine Reform jagt die nächste. Und nun steht der Bundeswehr eine weitere bevor: Doch diesmal soll alles anders werden. Statt neuer Einschnitte bei Personal und Material und weiterer Standortschließungen geht es nach den Plänen aus dem Verteidigungsministerium nun darum, die Fähigkeiten der Truppe gezielt zu erweitern beziehungsweise dort, wo im Laufe der unzähligen Reformen Fähigkeiten verlorengegangen sind, wie etwa bei den Marinefliegern, diese wieder aufzubauen. „Neues Fähigkeitsprofil“, lautet das Zauberwort der Planer aus dem Berliner Bendlerblock. Hinter vorgehaltener Hand wird dagegen eher von einer Rolle rückwärts gesprochen.

„Dabei geht es um die umfassende Modernisierung der Ausrüstung, über das notwendige Auffüllen hohler Strukturen bis hin zur Entwicklung neuer Fähigkeiten, die die Bundeswehr in Zukunft braucht“, skizziert Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Pläne. Doch es geht nicht nur darum, die Einheiten endlich wieder komplett mit dem benötigten Material auszustatten und so die Kannibalisierung zu beenden sowie die teilweise jahrzehntealten Waffensysteme durch neue zu ersetzen, sondern auch um die Anpassung der Strukturen an die aktuellen Erfordernisse.

Das neue Zauberwort        lautet „Systemverbund“

Daher soll künftig nicht mehr nur in den klassischen Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe oder Marine gedacht werden. Ziel ist die Bildung von zwölf sogenannten organisationsübergreifenden „Systemverbünden“. So soll beispielsweise der Systemverbund Land, der im Kern aus den Brigaden des Heeres besteht, im Einsatz auf die medizinische Unterstützung des Sanitätsdienstes, die Flugabwehr der Luftwaffe sowie Unterstützungsleistungen der Streitkräftebasis zurückgreifen. Der „Systemverbund Luft“ soll den Plänen zufolge vier Kampfflugzeug-Verbände („Air Task Forces“) umfassen, deren Aufgabe die Sicherstellung der Luftüberlegenheit über den Einsatzgebieten und über Deutschland wird. Auch den Einsatz deutscher Kampfjets als Trägerflugzeuge für amerikanische Atomwaffen („nukleare Teilhabe“) beinhaltet das Fähigkeitsprofil. Für den vorgesehenen „Systemverbund See“ sind langfristig die zeitgleiche Bereitstellung von 15 hochseefähigen Schiffen (darunter elf Fregatten) vorgesehen. Dazu kommen unter anderem acht U-Boote, Seefernaufklärer sowie der Wiederaufbau der Fähigkeit zur Seekriegsführung aus der Luft. Weitere Systemverbünde sind für die Gebiete Cyber, Weltraum, Spezialkräfte, Logistik, Heimatschutz, operative Führung sowie das Nationale Risiko- und Krisenmanagement vorgesehen.

„An diesem großen Modernisierungsplan haben wir die letzten zwei Jahre gearbeitet. Er zeigt in drei Schritten 2023, 2027 und 2031, wohin die Reise geht“, kündigte von der Leyen an und machte deutlich, daß die weitgesteckten Ziele nicht von heute auf morgen erreicht werden können. Die Soldaten spürten, daß nach dem Tiefpunkt im Jahr 2015 nach 25 Jahren des Schrumpfens in der Bundeswehr jetzt langsam die Talsohle durchschritten sei. „Aber es liegt noch ein langer Aufstieg vor uns, den wir bewältigen müssen.“

Schon jetzt steht fest: Die Umsetzung des neuen Fähigkeitsprofils sowie die angekündigte Kehrtwende beim Material wird nicht nur viel Zeit beanspruchen – sie wird auch teuer. Deshalb soll der Wehretat in den nächsten Jahren kräftig wachsen: 2019 von aktuell 39 auf 43 Milliarden Euro, bis 2024 auf 60 Milliarden. Das entspricht 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. 2024 soll der Rüstungsetat dann mit knapp 17 Milliarden Euro mehr fast fünfmal so hoch sein wie zehn Jahre zuvor. Doch ob der Bundestag diese Steigerung des Verteidigungsetats absegnen wird, ist derzeit sehr zweifelhaft. Bei der Beratung des Haushaltes für 2019 hat die SPD in der vergangenen Woche mehrfach ihre ablehnende Haltung zu einer Erhöhung der Rüstungsausgaben deutlich gemacht.

Aber nicht nur die Finanzierung steht in Frage. Auch die praktische Abwicklung der notwendigen Materialbeschaffung bereitet den Experten Kopfschmerzen. Noch immer hakt es in der Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie gewaltig, was häufig jahre- oder jahrzehntelange Verzögerungen und immense Kostensteigerungen zur Folge hat. 

Verteidigungsexperten sehen das Konzept für ein neues Fähigkeitsprofil der Bundeswehr daher zwar als positive Richtungsentscheidung – doch allen Beteiligten dürfte klar sein, daß die Planungsphase für die konkrete Umsetzung mit allen Unwägbarkeiten gerade erst begonnen hat.