© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Wer ist Köchin und wer ist Kellner?
Fall Maaßen: Der Verfassungsschutzpräsident muß seinen Posten räumen / Wechsel ins Bundesinnenministerium
Paul Rosen

Was ist das Wort eines CSU-Vorsitzenden wert? Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat es am Dienstag erfahren dürfen: Nichts. Noch am vergangenen Donnerstag hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Bundestag demonstrativ vor seinen obersten Verfassungsschützer gestellt, der wegen seiner Kritik am Hetzjagden-Vorwurf von Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen Demonstranten in Chemnitz unter Dauerfeuer geraten war. Maaßen habe im Parlamentarischen Kontrollgremium und im Innenausschuß „überzeugend seine Handlungsweise dargelegt“. Er habe weiterhin sein Vertrauen, so der Innenminister. Zwei Koalitionstreffen und einen CSU-Parteitag später war von Vertrauen keine Rede mehr. Maaßen muß gehen. 

Zwar wird er nicht in den einstweiligen Ruhestand versetzt, sondern wechselt von der Spitze des Verfassungsschutzes als Staatssekretär ins Innenministerium – eine Maßnahme, die der Gesichtswahrung Seehofers dienen soll. Dennoch zeigt der ganze Vorgang, daß auf Seehofer kein Verlaß ist und der Einfluß der CSU in der Koalition vernachlässigbarer wird. Seehofer wollte offenbar beim ersten Koalitionsgespräch nicht nachgeben, weil er noch den CSU-Parteitag überstehen mußte. Als der – wenn auch mit wenig Begeisterung für den Chef – gelaufen war, war es mit seiner Standfestigkeit vorbei – wie immer eigentlich. Wer Seehofer kennt, weiß, daß der Ingolstädter schon oft als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet ist. Mut ist seine Sache nicht, Heldentum schon gar nicht. 

Für die CSU und ihre Chancen bei der bayerischen Landtagswahl ist die Entscheidung ein Desaster: Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chefin Andrea Nahles haben Seehofer demonstrativ gezeigt, wer in der Koalition die Köchinnen sind und wer der Kellner ist. Zuletzt hatte sich die Lage immer weiter zugespitzt, befeuert von der SPD, die zwar in den Umfragen ganz unten steht, aber sich vom medialen Sturm gegen Maaßen wie in einer Segelyacht angetrieben fühlt: „Maaßen muß gehen. Und er wird gehen“, versicherte Nahles noch am Wochenende öffentlich. 

Dem Treffen im Kanzleramt vorangegangen war ein drei Wochen dauerndes Polit-Theater um Chemnitz, das sich immer weiter steigerte und zu einer massiven Belastung der Berliner Koalition wurde. Zwar hatten Seehofer und Merkel versucht, Druck aus dem Kessel zu nehmen. So erklärte der CSU-Chef auf dem Parteitag der Christsozialen: „Die Koalition wird weitergehen.“ Auch Merkel wiederholte mehrfach, daß die Koalition an Maaßen nicht scheitern werde. Dennoch hat die Causa Maaßen deutlich gemacht, daß die Sollbruchstellen in dieser Regierung so groß sind, daß sie bei nächster Gelegenheit auseinanderfliegen könnte. 

Die Vorfälle in Chemnitz, wo am letzten Augustwochenende ein junger Mann offenbar von Ausländern umgebracht worden war, hatten zu erheblichen Protesten geführt und die Kanzlerin sowie ihren Regierungssprecher zu nicht haltbaren Äußerungen veranlaßt. Sie sprachen von Hetzjagden und Zusammenrottungen und bezogen sich dabei offenbar auf ein anonym ins Internet gestelltes Video mit der Bezeichnung „Hetzjagden“. Das Bildmaterial gab aber diese Bewertungen nicht her; der Druck auf Merkel wuchs. Sowohl der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, Generalstaatsanwaltschaft und auch örtliche Journalisten erklärten übereinstimmend, von Herzjagden könne keine Rede sein. 

Schließlich kam Maaßen ins Spiel. Von Natur aus schon zur deutlichen Aussage neigend, erklärte er via Bild-Zeitung, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, daß es in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Es sprächen dagegen gute Gründe dafür, daß es sich bei dem Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. 

Für Medien und Merkel-Anhänger, die wegen der verbalen Entgleisungen der Chefin unter erheblichem Rechtfertigungsdruck standen, waren Maaßens Äußerungen ein Rettungsring, mit dem sie sich nicht nur über Wasser halten, sondern die ganze Angelegenheit in eine völlig neue Richtung drehen konnten. Der Tenor: „Er ist untragbar als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, weil er statt unsere Verfassung gegen die rechten Demokratiefeinde zu schützen, das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden des Bundes untergraben hat“, fabulierte etwa SPD-Vize Ralf Stegner. 

Erwartungsgemäß ging „das wirklich schlimme Ereignis in Chemnitz, die Bluttat zweier Asylbewerber“ (AfD-Fraktionschef Alexander Gauland), in der Diskussion unter. Die politisch-mediale Hatz auf Maaßen ging so weit, daß dem Verfassungsschützer vorgeworfen wurde, den AfD-Abgeordneten Stephan Brandner mit geheimen Informationen versorgt zu haben, was von Brandner als „völliger Unsinn“ bezeichnet wurde. 

Vor Unionsabgeordneten soll Maaßen gesagt haben, daß Seehofer seinen eigenen Sturz für den Fall erwarte, falls er – Maaßen – gehen müsse. Vielleicht behält er damit sogar recht.