© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

„Das wollen wir nicht“
Polit-Drama: Der Film „Wackersdorf“ von Oliver Haffner startet im Kino
Sebastian Hennig

Das letzte Jahrzehnt der alten Bundesrepublik war geprägt durch die Protestbewegungen gegen die Kernwaffenstationierung und die Großprojekte der Atomindustrie. Am Nato-Doppelbeschluß, dem Endlager in Gorleben und der geplanten Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf entzündete sich ein Widerstand, der weit über die jeweiligen Regionen hinausgriff. Das Geschehen um Wackersdorf hat Oliver Haffner jetzt in einem gleichnamigen Spielfilm gestaltet. 

Der Produzent Ingo Fliess stammt aus Sulzbach-Rosenberg, einem Nachbarkreis von Schwandorf. Er mußte feststellen, daß es für eine solche Geschichte noch keine filmischen Vorbilder gab: „Zeitgeschichtliche Stoffe kommen im Kino jenseits von Nazi, Stasi und RAF praktisch nicht vor, schon gar nicht im Bayerischen.“ Eine schmalzige Liebesgeschichte am Bauzaun sollte es nicht werden, sondern eher eine knorrige Schilderung von Land und Leuten: „Die regionale Verortung des Films – im Oberpfälzer Dialekt, gedreht in der Landschaft um das echte Wackersdorf herum, mit den Gesichtern der Oberpfalz – war eine logische Konsequenz.“

Damit geht es schon los: In einem gefüllten Gasthaussaal wirbt der Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler) um das Vertrauen seiner Wähler. Die Verheißung, „wieder Arbeit in den Landkreis zu bringen“, verbindet er mit der Forderung nach der alten Tugend der Geduld. Nach dem ungeduldigen Einspruch eines, der schon alles verloren hat, erheben sich nach und nach die enttäuschten Gäste und lassen zwei ratlose Lokalpolitiker im halbdunklen Saal zurück. Die Tonkrüge stehen in langen Reihen auf den verlassenen Tischen.

Die gedämpfte Temperatur der Filmbilder entspricht der Klangfärbung der Mundart. „Wackersdorf“ fängt das erdige Kolorit des bescheidenen und bodenständigen Lebens ein. Die Ausstattung kann auf viele originale Requisiten zurückgreifen. Hunderte von Komparsen aus der Gegend wurden hinzugezogen. In vielen ist die Erfahrung jener Jahre noch lebendig. Dokumentaraufnahmen der großen Polizeieinsätze an der Baustelle im Taxöl-dener Forst heben sich kaum merklich von den übrigen Filmbildern ab. 

Dem Landrat schlägt Mißtrauen entgegen 

Von den professionellen Darstellern ist Anna Maria Sturm in Schwandorf aufgewachsen und erinnert sich an ihre vom Protest geprägt Kindheit. Ihre Mutter, Irene Maria Sturm, war im Vorstand der Bürgerinitiative tätig. Für die Verkörperung des Landrats begünstigte den Oststeiermärker Johannes Zeller die Verwandtschaft der regionalen Dialekte. Schuierer sieht in der Anlage zunächst eine Chance für die gebeutelte Region. Erst allmählich wird ihm bewußt, was hier geschieht.

Der Hochmut der Städter gegen die Provinz erhöht die Reizbarkeit. Fabian Hinrichs spielt den Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen als öligen Charmeur, der den Deppen aus dem Wald leimen will. Als vorschriftsmäßig die Pläne unterbreitet werden, heißt es, diese würden dem Laien ohnedies nichts sagen können. Schuierer entgegnet: „Den einen oder anderen Bauplan habe ich schon gesehen in meinem früheren Leben.“ Der gelernte Maurer fragt auch gleich nach dem zweihundert Meter hohen Kamin. Ab diesem Zeitpunkt wird ihm klar, daß er eingewickelt wurde. Schon die gewaltsame Beseitigung eines Beobachtungsturms auf einem Privatgrundstück hat ihm zu denken gegeben. Seine Einsicht raubt ihm alte Freunde, wie den Bürgermeister von Wackersdorf (Johannes Herrschmann), und führt ihm neue zu. Der Beamte Claus Bössenecker (Peter Jordan) wurde dem Landrat von der Staatsregierung für Bauangelegenheiten zugewiesen. Schuierer muß erkennen, daß der studierte Franke ebenfalls ein ausgeprägtes Rechtsbewußtsein hat. Das Mißtrauen, welches er Bössenecker gegenüber hegte, schlägt ihm zum Teil von der Protestbewegung entgegen. 

Ohne das Reaktorunglück von Tschernobyl im Frühjahr 1986 wäre es wohl nicht zum Rückzug der Atom-

industrie von Wackersdorf nach La Hague gekommen. Einen guten Teil hat die Hartnäckigkeit und vor allem die Breite des regionalen Widerstands sicher dazu beigetragen, aber ausschlaggebend war sie nicht. Regisseur Haffner gibt zu bedenken: „Diese Leute haben sieben Jahre lang demonstriert. (…) Aber das Problem ist der Durchhaltewille. Die Leute lassen sich schnell zerstreuen, und darauf setzt die Politik.“ Es staue sich kein Verdruß mehr auf, der sich in Kundgebungen entlädt. Er verpuffe wirkungslos in den sozialen Medien.

Seine Hauptdarsteller sehen es ähnlich. Zeller meint: „Ein Denken und Handeln für die Gemeinschaft ist sicher über die Jahre einem pragmatischen Egoismus gewichen, genährt durch ein ausgeprägtes Konsumverhalten zur Selbstbelohnung.“ Sturm gesteht von sich ein: „Ja, ich merke das auch an mir. Man googelt, unterschreibt mal eine Petition auf Facebook und meint, etwas gemacht zu haben. Ich glaube, daß man sich anstrengen muß, um etwas zu erreichen. (…) Heute ist viel zu sehr vergessen, daß man sich gegen etwas auflehnen kann, daß man sagen kann: Das wollen wir nicht.“

Filmstart am 20. September 2018

 www.wackersdorf-film.de