© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Befreiung der Bastionen zwischen Danzig und Straßburg
Rückeroberung deutscher Festungen nach 1813: Ein reich illustrierter Band schließt eine Lücke in der Literatur zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon
Wulf D. Wagner

Napoleons Rußlandfeldzug ging 1812 verloren. Die französischen Truppen ziehen sich nach Preußen und ins Herzogtum Warschau zurück, Städte mit ihren Befestigungen werden von ihnen besetzt. Preußen verbündet sich mit Rußland. Gemeinsam gewinnt man Gefecht um Gefecht und rückt dem nach Westen zurückweichenden Feind nach. Jeder kennt sie, die großen Schlachten, etwa die bei Leipzig 1813. Doch dazwischen liegen die besetzten Städte und Festungen. „Mit diesem Buch wird der Versuch unternommen, eine klaffende Lücke in der Fachliteratur zu den Befreiungskriegen und zum Festungskampf zu schließen.“ Die Autoren – Thomas Hemmann bekannt für seine Internetseite www.napoleonzeit.de, Martin Klöffler für www.ingenieurgeograph.de – untertreiben! Das großformatige Werk mit zahlreichen Karten, Festungsplänen, Stichen und Gemälden von Städten oder Kampfhandlungen ist weit mehr als ein „Versuch“, es ist die erste vollständige Übersicht über den Festungskrieg 1813/14. Die Autoren nennen das Buch bescheiden „Literaturstudie“, da nur in Ausnahmen Archive aufgesucht wurden; dem Leser wird das bei der Fülle kaum auffallen.

Befreiung von Franzosen erfolgte von Ost nach West

Durch einen Hinweis im Vorwort auf heutige Kriegsereignisse machen die Autoren verständlich, warum ihr Werk auch von Aktualität sein könnte. Und da sie wissen, daß militärische Kenntnisse kaum vorhanden sind, erklären sie im ersten Teil Grundvoraussetzungen des Festungswesens und des Kampfes um befestigte Orte. Die Kapitel befassen sich etwa mit den Ingenieurkorps der am Krieg beteiligten Länder, dem Festungsbau, den damaligen Waffen, der Konstruktion von Kriegsbrücken, den Formen der Belagerungen, aber auch mit der Lage der Zivilbevölkerung und Hospitälern; alles farbig bebildert – deshalb auch der verhältnismäßig hohe Preis.

Der zweite Teil führt uns zu den besetzten oder belagerten Städten, 25 größere und weitere kleinere Orte, darunter Danzig, Küstrin, Spandau, Dresden, Erfurt, Magdeburg, Hamburg, Würzburg, Mainz und Straßburg; bei polnischen Festungen wie Modlin und Tschenstochau arbeiteten polnische Kollegen zu. Die Kapitel rücken dem Kriegsverlauf folgend von Osten nach Westen vor. Aus der Perspektive der Verteidiger, damals die Franzosen, und der Belagerer – Russen, Preußen und Österreicher – wird der tägliche Ablauf von Belagerung und Einnahme mit zahlreichen Daten und Karten, besonderen Ereignissen und lebendigen Geschichten nacherzählt. Mit der Übergabe des schlesischen Glogau am 12. April 1814 schließt der Band zeitlich. 

Die Autoren stellen jedem dieser „Belagerungsjournale“ kurze Beschreibungen der Festungen voran. Durch knappe „Vorereignisse“ binden sie die Belagerung in den Kriegsablauf ein und lassen die Kapitel stets mit interessanten Betrachtungen zur militärischen und völkerrechtlichen Führung, Erfolgen und Fehlern der Belagerer und Verteidiger  ausklingen. Im Anhang jedes Stadtkapitels finden sich Listen der beteiligten Regimenter und umfassende Literaturangaben.

Sicherlich wäre es nützlich gewesen, die „Vorereignisse“ in einer Zusammenfassung zum gesamten Kriegsverlauf nebst Karte zu Schlachten und Gefechten dem zweiten Teil voranzustellen; doch – wie die Autoren zu Recht anmerken – finden sich diese in jeder Darstellung der Befreiungskriege, während der Festungskrieg 1813/14 „bisher unzureichend behandelt“ wurde. 

Wer sich für die napoleonische Zeit interessiert, der wird seine Freude an dem Werk finden. Man merkt, daß es auch vom Laien verstanden werden will, auf jegliches Fachkauderwelsch wird verzichtet beziehungsweise ein Glossar erklärt Begriffe. Es macht geradezu Spaß, auf Karten und Bildern dem Verlauf dieser beiden Jahre der Befreiung zu folgen. 

Thomas Hemmann, Martin Klöffler: Der vergessene Befreiungskrieg. Belagerte Festungen zwischen Memel und Rhein in den Jahren 1813 – 1814. Books on Demand, Norderstedt 2018, gebunden, 631 Seiten, 159 Euro