© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

„Scharfer Schuß gegen Merkel“
Interview: Was bedeutet die Brinkhaus-Wahl? Der CDU-Experte Werner J. Patzelt gibt Antwort
Moritz Schwarz

Herr Prof. Patzelt, ist das jetzt die Merkeldämmerung?

Patzelt: Die hat angesichts sinkender Umfragewerte der Union, Merkels Autoritätsverlusts in der Koalition und des ständigen Rätselratens, wie lange diese wohl noch hält, doch längst eingesetzt! 

Was bedeutet Brinkhaus’ Wahl dann?

Patzelt: Der Fraktion ist inzwischen bewußt, daß der Kurs der Kanzlerin zur weiteren Stimmenerosion der Union führt, und ebenso, daß dafür die Migrations- und Integrationspolitik der Kanzlerin ursächlich ist. Hauptsächliche Stütze dieser Politik in der Fraktion war Volker Kauder. Und so wurde jetzt sozusagen der Sack geschlagen, obwohl der Esel gemeint war – der wohl auch schmerzlich mitgetroffen wurde.

Aber den Sack schlagen, wenn man den Esel meint, ist alles andere als eine Revolution. Also „außer Spesen nichts gewesen“? 

Patzelt: Wenn der Fraktionschef, dem man vertraut, mit dem man jahrelang zusammengearbeitet und den man vorgeschlagen hat, in einer Kampfabstimmung verliert, ist das nicht nur ein Schuß vor den Bug, sondern ein scharfer Schuß auf den Regierungschef selbst. Das war allen Beteiligten auch bewußt.

Also kann man Kauders Abwahl damit gleichsetzen, daß man auch Merkel abgewählt hätte, wäre das möglich gewesen? 

Patzelt: Da die Kanzlerin nicht zur Wahls stand und sich in einer Koalition auch auf den Koalitionspartner stützen kann, ließ sich der Hieb gegen sie – dank der anstehenden Fraktionswahl – nur gegen ihren Statthalter führen.

Die Abwahl richtete sich also wirklich nur gegen Merkel, gar nicht gegen Kauder? 

Patzelt: Kauder war ihr besonders getreuer Paladin und hat deshalb nur einen Teil der Rolle, die ein Fraktionsvorsitzender eigentlich hat, wahrgenommen, nämlich in der Fraktion das durchzusetzen, was die Regierung will. Den anderen Rollenteil hat er vernachlässigt, nämlich dem politischen Willen der Fraktion gegenüber der Regierung Ausdruck zu geben und in die Regierungsarbeit einzubringen. Das hat ihm seine Niederlage beschert. 

Kann man wirklich von Brinkhaus mehr erwarten oder wird er am Ende auch „den Kauder“ machen? 

Patzelt: Wenn der neue lediglich den alten Fraktionschef kopieren sollte, wird er gemeinsam mit der Parteivorsitzenden untergehen, sobald nächstes Jahr die SPD ihren angekündigten „Kassensturz“ der Regierungsarbeit macht und anschließend die Koalition verläßt. Die einzige Chance, aus seinem Kandidaturmanöver für die Zukunft  politisches Kapital zu schlagen, besteht darin, daß er auf die Merkelkritik in der Fraktion hört, sie bündelt und in Korrekturen des Regierungshandelns umsetzt.  

Brinkhaus gilt als angepaßt. Ist von jenem bekannten Typ Revolutionär, der erst brav eine Bahnsteigkarte löst, überhaupt zu erwarten, daß er etwas anders macht?  

Patzelt: Das kann ich nicht beurteilen, da ich ihn nicht persönlich kenne. Wir müssen abwarten. Es wird spannend. 

Kann die Kanzlerin die Niederlage durch eine gute Zusammenarbeit mit Brinkhaus bald vergessen machen?

Patzelt: Sie kann sicher durch lernwilliges Reden und Tun zeigen, daß sie das Signal der Fraktion verstanden hat. Aber ob ihr das bei der Wählerschaft Vertrauen zurückbringt, ist sehr zu bezweifeln. Und gerade das Wählervertrauen ist ja für die Fraktionsmitglieder, deren Mandate bei den kommenden Wahlen bedroht sind, das Entscheidende. 

Wird die Kanzlerin denn überhaupt versuchen, die Sache vergessen zu machen oder ist ab jetzt schlechte Stimmung und Kleinkrieg mit der Fraktion angesagt? 

Patzelt: Kleinkrieg wohl nicht, denn der nützt vor allem den Regierungschef ab. Üblicherweise leitet so eine krachende Niederlage denn auch den Rückzug eines Regierungschefs ein. Damit aber wäre die gerade neu zusammengeflickte Koalition am Ende. Und für einen solchen Spielzug hat die Kanzlerin wohl ein zu starkes Pflichtgefühl.         






Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Jahrgang 1953, lehrt Politikwissenschaft an der TU Dresden und ist Mitglied im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

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