© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Jelzin vor dem „Weißen Haus“
Hunderte Tote beim Moskauer Putsch 1993
Jürgen W. Schmidt

Nach der Niederschlagung des Putsches von 1991 bildete sich im nunmehr souveränen Staat Rußland allmählich eine politische Doppelherrschaft heraus. Die 1991 an die Macht gelangten russischen „Demokraten“ spalteten sich in zwei politische Fraktionen, welche um die Herrschaft rangen.  

An der Spitze der reformfreudigen Fraktion stand der russische Präsident Boris Jelzin und an der Spitze der reformzögerlichen Fraktion der russische Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow, dem sich später der von Jelzin abservierte russische Vizepräsident General Alexander Ruzkoi anschloß. Rußland durchlebte in dieser Zeit die Epoche der Umgestaltung der einstigen Planwirtschaft hin zur freien Wirtschaft inklusive der Privatisierung der Betriebe. 

Der Lebensstandard fiel und es herrschte Inflation, was erheblichen Unwillen in der Bevölkerung erregte. Regierung und Parlament standen unter heftigem Druck von links und von rechts, wobei die russischen Kommunisten die alten Sowjetverhältnisse restaurieren wollten und die russischen Nationalchauvinisten massiv gegen Juden, Freimaurer und alle nichtrussischen Nationalitäten hetzten. 

Nach einem mit 58 Prozent Zustimmung gewonnenen Referendum über die Zukunft seiner Wirtschaftspolitik löste Präsident Jelzin am 21. September 1993 das reformfeindliche russische Parlament auf und verkündete für den 12. Dezember 1993 Neuwahlen. Daraufhin versuchte Chasbulatow gegen Präsident Jelzin zu putschen, indem er ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einleitete, Ruzkoi zum Präsidenten ernannte und beide sich im Moskauer Parlamentsgebäude, dem „Weißen Haus“ verschanzten. 

Von hier aus riefen sie die Bevölkerung gegen Jelzin auf die Straße, und es kam ab dem 28. September 1993 in Moskau zu ersten gewaltsamen Zusammenstößen. Präsident Jelzin retteten in dieser Lage seine eigene persönliche Entschlossenheit, die Unterstützung durch die Armee und das politische Wohlwollen des Westens. Am 4. Oktober 1993 ließ er nach vorangegangenem heftigen Beschuß durch Panzer das „Weiße Haus“ stürmen und Chasbulatow nebst Ruzkoi verhaften. 

Jeglicher Widerstand in Moskau wurde mit harter Hand niedergeworfen, und schon am 5. Oktober 1993 erwies sich der Widerstand aller jelzinfeindlichen Kräfte als gebrochen. Mehr als 150 Menschen sind Ende September/Anfang Oktober 1993 in Moskau ums Leben gekommen, darunter allein 46 Personen bei dem von Ruzkoi initiierten Sturmversuch auf den Moskauer Fernsehsender Ostankino.