© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Umwelt
Kein Insekt zerquetscht
Volker Kempf

Diesen Sommer gab es die Gelegenheit, das „Insektensterben“ auf der Autobahn zu überprüfen: Einmal 300 Kilometer gefahren, nicht ein Insekt auf der Windschutzscheibe. Ein andermal keine 100 Kilometer weit bei vergleichbarer Geschwindigkeit mit demselben PKW gefahren und alles voller Insekten, eine Scheibenreinigung dringend erforderlich. Was sagt das über das Insektensterben aus? Wurde früher nur die Scheibe mit Insekten als ärgerlich registriert, die ohne Insekten hingegen als unauffällig nicht beachtet? Ist alles nur ein Wahrnehmungsproblem? Eine Unterkategorie ist das „Bienensterben“. Der Weltuntergang schien nahe, da diese Hautflügler die Blüten bestäuben. Wer will das beurteilen? Der Normalverbraucher hat kaum Kontakt zu Bienen und damit keine Vergleichsmöglichkeiten.

In Südbaden schlägt jetzt die Stinkwanze zu und bedroht die Obsternte.

Dafür war in diesem Sommer der Kontakt zu Wespen um so intensiver. Die Gastwirte stellten fleißig Wespenfallen auf die Tische. Medien berichteten von einer Wespenplage. Würden die Wespen weniger und andere Insekten – außer Schnaken – mehr, wäre alles in Ordnung. Aber es kommt noch schlimmer, jetzt schlägt in Südbaden die Stinkwanze zu und bedroht die Obsternte. Mehrere Palomena prasina-Exemplare wurden im Wohnhaus des Verfassers schon gesichtet, Fenster und Türen geschlossen. Den Gemeinen Grünling gab es früher nur vereinzelt. Von wegen Insektensterben, die Insektenwelt – wie auch die Zeckenwelt – scheint sich auf die Menschenwelt einzurichten. Eine weniger gewagte These wäre, von einer Insekten-Transformation zu sprechen. Bei Waldsterben, Artensterben, Insektensterben und Bienensterben wird so viel gestorben, daß der Tod unglaubwürdig wird. Kein Wunder, daß der Transformationsbegriff fächerübergreifend Hochkonjunktur feiert, nur beim „Insektensterben“ muß er erst noch eingeführt werden.