© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

„Kampf um Platz zwei“
Wahlkampfendspurt in Bayern: Obwohl ohne Spitzenkandidaten will AfD-Landeschef Martin Sichert am 14. Oktober eine ganze Reihe Siege erringen: die FDP aus dem Landtag halten, die Freien Wähler überrunden, die CSU demütigen – vor allem aber die Grünen schlagen
Moritz Schwarz

Herr Sichert, weshalb hat die AfD in Bayern keinen Spitzenkandidaten?

Martin Sichert: Wegen des Wahlrechts: Es gibt hier keine Landesliste, sondern sieben Wahlbezirke mit je eigener Liste. 

Die CSU etwa hat dennoch einen. 

Sichert: Den man aber außer in Mittelfranken gar nicht direkt wählen kann. Nein, wir wollen über unsere Inhalte wahrgenommen werden – politischer Gegner und Medien sollen sich damit auseinandersetzen, nicht mit Personen.

Letztere scheinen Ihre Kollegin Katrin Ebner-Steiner ersatzweise zur „Spitzenkandidatin“ gekürt zu haben. Wurmt Sie das? 

Sichert: Gar nicht. Katrin ist eine starke Frau, für die sich die Medien natürlich interessieren. Nicht zu Unrecht, war sie doch etwa bei der Bundestagswahl die AfD-Direktkandidatin mit dem besten Ergebnis in Westdeutschland. 

Wird sie die neue AfD-Fraktion führen? 

Sichert: Weder weiß ich, wen die Fraktion wählen, noch ob es einen Fraktionschef oder eine Doppelspitze geben wird. Was ich weiß, ist, daß wer glaubt, in der AfD über die Köpfe der Basis hinweg Vorentscheidungen treffen zu können, schon verloren hat.               

Angeblich hat die AfD in Bayern keinen Spitzenkandidaten, weil Ihr Landesverband, laut Medien, zerstritten ist.

Sichert: Unsinn, der Landesparteitag hatte sich ohne große Debatte, aber mit überragender Mehrheit gegen einen Spitzenkandidaten und ein Spitzenteam entschieden. Nun sehen wir im Wahlkampf, daß unser Konzept aufgeht. 

Wie kommen Sie darauf? Laut Forschungsgruppe Wahlen liegen Sie bei zehn Prozent. Also deutlich unter dem, was die AfD in den Nachbarbundesländern erzielt hat.

Sichert: Vor der Bundestagswahl wurden uns in Bayern acht Prozent und eines der schwächsten AfD-Ergebnisse im Westen vorausgesagt. Bekommen haben wir dann 12,4 Prozent und waren damit stärkstes westdeutsches Bundesland!

Und daraus folgern Sie nun?

Sichert: Ich rechne mit einem Kampf um Platz zwei. 

Dort liegen laut Froschungsgruppe Wahlen die Grünen mit 18 Prozent.  

Sichert: Ich glaube, daß die Grünen über- und wir unterbewertet sind. 

Konkret? 

Sichert: Ich kann mir fünfzehn, sechzehn Prozent vorstellen. Denn bei den in Umfragen ermittelten Zustimmungswerten gibt es immer einen Teil der Befragten, der eine Partei grundsätzlich wählen würde, und einen Teil, der sie mit Sicherheit wählen wird. Letzterer liegt bei uns, laut der Bayerntrend-Umfrage des Bayerischen Fernsehens, bei über achtzig Prozent! Das heißt: Von den elf Prozent, die im Bayerntrend für uns ermittelt wurden, sagen über achtzig Prozent, daß sie uns auch wirklich wählen werden. Zum Vergleich: Bei den Grünen lag dieser Wert unter fünfzig Prozent. Der Anteil derer, die es sich am Wahltag eventuell also doch noch anders überlegen, ist bei den Grünen wesentlich größer als bei uns. Zudem: Erfahrungsgemäß machen etliche Bürger, die sich bei einer Befragung nicht getraut haben, AfD anzugeben, doch bei uns ihr Kreuzchen.

Was, wenn Sie sich irren und am Wahl­abend weit unter 15 Prozent erzielen? 

Sichert: Das ist nicht ausgeschlossen, ich glaube es aber wirklich nicht.

Ihr Parteichef Alexander Gauland argumentiert anders: Angesichts der schwächeren Umfragewerte in Bayern verwies er auf die Konkurrenz von CSU und Freien Wählern. Was gilt denn nun?  

Sichert: Natürlich spielen CSU und Freie Wähler eine Rolle. Dennoch können wir die genannten Ziele erreichen. 

Freie Wähler und FDP liegen mit, laut Forschungsgruppe Wahlen, elf und fünf Prozent beide zwei Prozent über ihrem Wahlergebnis von 2013. Haben Sie als Partei mit dem Anspruch, bürgerliche Alternative zu sein, nicht etwas falsch gemacht, wenn es Ihnen nicht gelingt, diesen Wählerzuspruch für sich zu gewinnen? 

Sichert: Haben wir etwas falsch gemacht, weil wir aus der Bundestagswahl zwar als spektakulärer Wahlgewinner hervorgegangen sind, die FDP aber den Wiedereinzug geschafft hat?

Alice Weidel meinte in einem Interview mit dieser Zeitung, ja. 

Sichert: Das sehe ich anders. Wir haben in den letzten Jahren gute Aufbauarbeit geleistet, haben 2018 so viele Neumitglieder gewonnen wie in keinem Jahr zuvor, sind der größte Landesverband der AfD und werden bald deren größte Landtagsfraktion haben. Und wir sind in der Lage, bei unserer ersten Landtagswahl aus dem Stand vielleicht sogar Platz zwei zu erreichen. Übrigens ist die CSU auf 35 Prozent gesunken, auch das war ein wichtiges Ziel für uns.

Erholt sich die CSU bis zur Wahl wieder? 

Sichert: Das glaube ich nicht. Zwar würde ich mich nicht darauf verlassen, daß sie bei 35 Prozent bleibt – bis zum 14. Oktober könnte sie auch weiter verlieren oder wieder dazugewinnen –, aber sie wird auf jeden Fall unter vierzig Prozent bleiben, und das bedeutet eine historische Niederlage! Denn die CSU kommt von fast 48 Prozent bei der Wahl  2013 und kämpft traditionell um die absolute Mehrheit. Und sie stellt, mit einer Ausnahme, seit über fünfzig Jahren eine Alleinregierung. Das muß man wissen, um zu verstehen, warum ein Ergebnis mit einer Drei vor dem Komma, mit dem andere Unionslandesverbände zufrieden wären, für sie ein Erdbeben ist. 

Was hat die CSU falsch gemacht? Ist es die  „Flüchtlings“-Politik? Der Dauerstreit in Berlin? Das bayerische Polizeiaufgabengesetz, das für viel Unmut sorgt?

Sichert: Das alles spielt eine Rolle. Vor allem aber ist der Grund, daß die Bürger das Vertrauen in die CSU verloren haben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Denken Sie an den Rummel um die von der CSU initiierte bayerische Grenzpolizei. Was ist das Ergebnis der ersten sechs Wochen ihres Bestehens? Ich habe dazu eine Anfrage im Bundestag gestellt: Neun Personen wurden als illegal Einreisende an die Bundespolizei übergeben, neun! Wovon diese fünf doch noch hat einreisen lassen, nur vier wurden abgeschoben. Diese Art Politik haben die Leute satt.

Immer wieder wird der Vorwurf laut, Ihrem Landesverband mangele es an bayerischer Identität. In der Tat könnte man Sie etwa ebenso für einen „Preißen“ halten. 

Sichert: Das ist völliger Unsinn. Es gibt heute einfach nicht mehr „den“, sondern ganz unterschiedliche Typen von Bayern, und diese Bandbreite findet sich auch in unserem Landesverband. Darunter auch der „klassische“ Bayer, wie Katrin Ebner-Steiner oder der Bezirkschef in Niederbayern Stephan Protschka, aber ebenso andere Typen, wie mich. Wobei ich als gebürtiger Nürnberger mit Ihnen natürlich problemlos fränkisch, übrigens auch oberpfälzisch, reden könnte.

Die Medien bezeichnen Sie als „nationalkonservativ“ und zählen Sie zum rechten Flügel der Partei. Dabei kommen Sie von der FDP. Wie paßt das zusammen? 

Sichert: An diesem Ruf ist Bernd Lucke schuld. Tatsächlich bin ich politisch freiheitlich gesonnen, weshalb ich auch der AfD beigetreten bin. Aber als politischer Idealist geriet ich rasch in Opposition zu Lucke, nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil er statt einer Bürgerpartei eine Lucke-Partei wollte. Deshalb hat er mich als „Rechten“ markiert und sogar ein Parteiausschlußverfahren gegen mich gestartet. Bin ich nationalkonservativ? National im Sinne von patriotisch, ja, das sind wir alle in der AfD. Und Konservativ bin ich insofern, als ich unser Land und unsere Werte erhalten möchte. In der FDP, von der ich annehme, daß wir sie aus dem Landtag halten werden, war ich übrigens sogar zweimal: 2001 bin ich aus freiheitlichem Idealismus eingetreten, um nach dem 11. September gegen die Beschneidung unserer Bürgerrechte im Namen des Anti-Terrorkampfes ein Zeichen zu setzen. Allerdings mußte ich erleben, daß es der Partei keineswegs um liberale Ideale geht, sondern um Klientelpflege. Das Maß war für mich endgültig voll, als ich 2004 als Bundesdelegierter folgendes miterleben mußte: Guido Westerwelle und Rainer Brüderle saßen abends an unserem Tisch, als jemand Westerwelle kritisch ansprach, weil der in einer Rede gegen die Abschaffung des Meisterzwangs plädiert hatte. Mit dieser Position Westerwelles hätte ich ja noch leben können, wenn sie einer Überzeugung entsprungen wäre. Doch da nahm Brüderle Westerwelle plötzlich in Schutz, indem er zugab, er habe ihn dazu angestiftet, weil er, Brüderle, in seiner Heimat Rheinland-Pfalz die Stimmen der Handwerker brauche. Da fragte ich mich: Was hatte ich länger in einer Partei verloren, in der nicht einmal die Führungsspitze noch Überzeugungen hat? 2009 habe ich mich von FDP-Freunden zu einem zweiten Versuch überreden lassen und zwar aus Begeisterung für das damalige Bundtagswahlprogramm. Doch in der Regierung tat die FDP dann das Gegenteil dessen, für was sie angetreten war. Und als sie dann auch noch der Eurorettung zustimmte, bin ich 2012 erneut aus- und 2013 der AfD beigetreten.

Dort fühlen Sie sich als Liberaler wohl?     

Sichert: Gerade dort, etwa weil sie eine Partei ist, die es mit der Meinungsfreiheit wirklich ernst meint und gegen Denkverbote eintritt. Weil sie die Bürger gegen eine Eurorettung verteidigt, die auf Enteignung hinausläuft – echte Freiheit aber nur bei finanzieller Unabhängigkeit möglich ist. Oder weil sie eine Antenne dafür hat, daß die großartigen Werte unserer freiheitlichen Gesellschaft angesichts einer massiven Einwanderung aus illiberalen Kulturkreisen verteidigt werden müssen. 

Sie sind mit einer Jesidin verheiratet, deren Familie aus Syrien kommt. Hat das Ihren politischen Blick verändert, etwa was das Schicksal verfolgter Minderheiten angeht?

Sichert: Durch meine Ehefrau habe ich einen sehr viel tieferen Einblick in die Struktur und Funktionsweise der Gesellschaften des Nahen Ostens bekommen und auch dafür, was es bedeutet, als religiöse Minderheit in einer islamischen Mehrheitsgesellschaft zu leben. Das hat mich eigentlich nur in allem bestärkt, was ich vorher schon vertreten habe, nämlich daß wir verfolgten Menschen, die diesen Gesellschaften entfliehen, weil sie wirklich die freiheitlichen Werte unserer Gesellschaft suchen, Schutz bieten sollten. Sie gleichzeitig aber auch davor schützen müssen, daß sie hier genau jenen Vertretern ihrer Gesellschaft als „Asylbewerbern“ wiederbegegnen, vor denen sie geflohen sind.

Haben Sie wegen Ihrer Ehefrau Anfeindungen in der Partei erlebt? 

Sichert: Überhaupt nicht. Was wir dagegen erlebt haben, sind Anfeindungen und Drohungen von Rechtsextremen wegen der Hautfarbe und Abstammung meiner Frau, ebenso wie von Linksextremen und moslemischen Fundamentalisten wegen ihrer Kritik an der hiesigen Blauäugigkeit gegenüber einem traditionalistischen Islam – unter dem jesidische Frauen doppelt zu leiden haben: wegen ihrer Religion und ihres Geschlechts –, wie auch gegenüber Einwanderung aus anderen archaischen Kulturen. Darunter auch das Jesidentum, zu dem etwa strikte Endogamie gehört, wogegen sie ja verstoßen hat, indem sie mich geheiratet hat.  

Herr Sichert, verläuft der Landtagswahlkampf denn fair? 

Sichert: Nein, überhaupt nicht. Uns werden städtische Hallen gekündigt, Wirte werden unter Druck gesetzt, uns auszuladen. Unsere Plakate werden massiv beschädigt, ebenso immer wieder Infostände, mitunter auch das Eigentum unserer Mitglieder, wie einer Parteifreundin, der das Auto mit Säure übergossen wurde. Auch unsere Wahlkampfhelfer leben in der Gefahr, angegriffen zu werden. Wir haben bereits mehrere Leichtverletzte zu beklagen. Und die Polizei läßt militante Gegendemonstranten so nah an unsere Veranstaltungen heran, daß, wie bei Beatrix von Storch auf dem Münchner Marienplatz geschehen, unsere Redner beworfen werden können. 

Erfahren Sie diesbezüglich Solidarität von den Medien oder dem politischen Gegner? 

Sichert: Nein. Denn – leider muß man das sagen – für die Medien gibt es Haß und Hetze gegen die AfD nicht. Und der politische Gegner? Von dem, vor allem übrigens von der CSU, kommt ja die Hetze, die zu dieser Atmosphäre führt, in der das alles möglich ist. 

Die CSU hat die AfD gar zum „Feind Bayerns“ erklärt. 

Sichert: Nicht nur das, sie sagt über uns auch: „Brauner Schmutz hat in Bayern nichts verloren.“ Einerseits bin ich darüber als Bürger tief enttäuscht, weil ich früher daran geglaubt habe, daß es in der Politik um die besten Ideen in fairem Wettkampf geht. Andererseits ermutigt es mich aber auch, weil es zeigt, wie völlig verzweifelt die CSU inzwischen offenbar ist.   






Martin Sichert, ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und Landesvorsitzender der AfD in Bayern, der er im März 2013 beigetreten ist. Der Diplom-Kaufmann wurde 1980 in Nürnberg geboren. 

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