© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mammutprojekt unter der Erde
Paul Rosen

Das Reichstagsgebäude ist ein Besuchermagnet. Täglich lange Warteschlagen sind der Beweis für die Attraktivität des Gebäudes und der Kuppel. 2001, nach den Anschlägen vom 11. September in den USA, war es jedoch mit den lockeren Kontrollen beim Zugang vorbei. Mit privaten Fahrzeugen konnte fortan nicht mehr zwischen Reichstag und Jakob-Kaiser-Haus geparkt werden. Seitdem stehen dort Absperrgitter, und Polizeibeamte lassen nur diejenigen durch, die einen „Hausausweis“ des Bundestages haben. Auf dem Weg zur Kuppel gilt es jetzt, Kontrollen wie am Flughafen zu überstehen. Erst waren die Anlagen noch im Foyer auf der Westseite des Reichstagsgebäudes. Später wurden Baracken vor dem Gebäude errichtet, die denen am früheren DDR-Grenzübergang Marienborn nicht unähnlich sind. 

Das Provisorium soll verschwinden, doch das ist nicht so einfach. Ein eigenes Gebäude neben dem Reichstag lehnte die Berliner Verwaltung ab – der freie Blick auf das Parlamentsgebäude würde gestört. Folglich kam man auf den Gedanken, das neue „Besucherzentrum“ unter die Erde zu verlegen. Das würde bedeuten, daß der neue Eingang an der Scheidemannstraße im Tiergarten läge. Dort würden die Besucher kontrolliert und müßten dann durch einen langen Tunnel unterirdisch zum Reichstagsgebäude gehen. Das bereits vor vier Jahren vom Ältestenrat des Bundestages angestoßene Projekt soll 150 Millionen Euro kosten. Aber schon lange vor dem ersten Spatenstich wird klar, daß das Geld nicht reichen wird und sich die Fertigstellung angesichts großer Widerstände verzögern dürfte. Widerstand leistet zunächst das Land Berlin: Wo so viele Leute warten, müssen Sanitäranlagen her, die am Eingang bisher nicht vorgesehen sind. Es meldeten sich auch die Tunnelbauer der Deutschen Bahn. Die haben – was dem zuständigen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung offenbar nicht ganz klar war – auf dem Gelände bereits einen Tunnel gebaut und zwar für die neue Nord-Süd-S-Bahn. Tunnel auf Tunnel – das war nicht geplant und dürfte den Zeit- und Kostenrahmen gefährden. Zuletzt kam politischer Widerstand hinzu: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) war in den USA und sah dort das „Visitor Center“ am Kapitol. Das umfaßt 50.000 Quadratmeter mit Vortragsräumen und Kinosälen. Die Berliner Planung sieht hingegen 6.000 Quadratmeter plus 2.000 Quadratmeter Tunnel vor. „Entweder wir machen das richtig oder gar nicht“, forderte Kubicki. „Mindestens doppelt so groß“ müsse das deutsche Zentrum werden und solle auch nicht vom Bundesamt geplant werden, das für zahlreiche Fehlplanungen und Kostensteigerungen in Berlin verantwortlich sei. Das Amt kriege „nichts auf die Reihe“, klagte er.

Auch die Bundestagsverwaltung warnt vor einer drastischen Kostensteigerung. Die Bauverantwortung soll daher der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übertragen werden, die in der Vergangenheit aber eher als Grundstücksverkäufer denn als Tunnelbauer aufgefallen ist, so daß sich am üblichen Ergebnis staatlicher Bautätigkeit nichts ändern dürfte: Alles wird später fertig und viel teurer.