© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Der Geist des Führers am Bückeberg
„Reichserntedankfest“: In Niedersachsen streiten Politik und Einwohner über eine geplante Gedenkstätte
Christian Vollradt

Ein großer Streit um einen kleinen Hügel. Etwa fünf Kilometer südlich der niedersächsischen Kreisstadt Hameln liegt der Bückeberg, auf den ersten Blick nicht viel mehr als eine von Bäumen gesäumte Wiese. Von seiner Existenz würde wahrscheinlich kaum jemand Notiz nehmen – abgesehen von den Bewohnern der Gemarkung Hagenohsen, die eines der Einfamilienhäuser an seinem Fuß besitzen. Doch weil die 161 Meter hohe Erhebung unweit des Weserufers eine besondere, um nicht zu sagen: belastete Geschichte hat, wird sie sogar im Bundeshaushalt des Jahres 2018 erwähnt: 725.000 Euro aus Steuermitteln spendiert der Bund – erstmals – für den „Gedenk-, Dokumentations- und Lernort Bückeberg“.

Die Nationalsozialisten hatten dort in den Jahren 1933 bis 1937 jeweils Anfang Oktober ein Massenspektakel veranstaltet, die „Reichserntedankfeiern“. Auf einer Fläche von umgerechnet 25 Fußballfeldern hatte man dafür seinerzeit ein ovales Festgelände angelegt, das in der Mitte von einem rund ein Meter hohen, acht Meter breiten und etwa 500 Meter langen schnurgeraden Damm geteilt wird, dem sogenannten „Führerweg“. Diese Feiern gehörten wie die Reichsparteitage oder das Gedenken an die „Gefallenen der Bewegung“ am 9. November zu den „Hochfesten“ des NS-Jahres. Auf dem Bückeberg schritt Hitler durch ein Spalier Zigtausender begeisterter Anhänger „zum Erntealtar, um die Erntekrone zu empfangen. Eine Parade der Wehrmacht gab dem Fest von Blut und Boden einen martialischen Charakter“, faßte der Historiker Hans-Ulrich Thamer das Geschehen zusammen. Mit Sonderzügen wurden die Teilnehmer herangekarrt. Ihre Zahl wuchs zwischen 1933 und 1937 von 500.000 auf mehr als 1,3 Millionen.

Seit 2016 konkretisieren sich die Pläne, hier eine Gedenkstätte zu errichten, die die gigantischen Ausmaße der „Reichserntedankfeiern“ visualisiert und so die Propagandamechanismen des NS-Regimes verdeutlicht. Ausstellungstafeln sollen sogenannte „Informationsinseln“ bilden. Die mittlerweile überwucherten Reste der Redner- und der Ehrentribüne sollen mittels Installationen hervorgehoben werden. Am markantesten wäre allerdings ein am Berghang aufgestellter Schriftzug des Wortes „Propaganda“ –  ähnlich den berühmten „Hollywood“-Buchstaben in Los Angeles. So sah es der Siegerentwurf eines Gestaltungswettbewerbs vor. 

Doch eine Kommission der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten „hält den Begriff ‘Propaganda’ inhaltlich nicht für angemessen“. Er greife „nicht alle Inhalte auf, für die der Bückeberg stehe, beinhalte eine Interpretationsvorgabe und könne eventuell sogar die Verführungsthese bestätigen und entschuldigend wirken“, heißt es auf der Internetseite des federführenden Vereins Regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln.

AfD-Fraktion beantragte Bürgerbefragung

Dessen Vorsitzender, Bernhard Gelderblom, ein pensionierter Gymnasiallehrer, ist einer der Initiatoren des Projekts. Seit langem forscht und schreibt er über die Geschichte des Bückebergs. Für ihn ist das Gelände der zweitwichtigste Propaganda-Ort der Nationalsozialisten nach Nürnberg. Gelderbloms jahrelanges Lobbyieren für eine Gedenkstätte samt institutioneller und personeller Infrastruktur scheint sich nun auszuzahlen. Politische Unterstützung kommt aus dem Kultusministerium sowie von der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten. Der Kreistag von Hameln-Pyrmont stimmte 2016 mehrheitlich für einen „Dokumentations-, Informations- und Lernort“ am Bückeberg. Gelder werden genehmigt – für Gelderbloms Verein. Auf wenig Begeisterung stößt das Ganze bei den Anwohnern der Gemeinde Emmer-thal zu Füßen des Bückebergs. Zu groß, zu teuer, zu intransparent sei das vom Kreis Beschlossene. Eine Bürgerinitiative gründet sich, 2.000 Unterschriften gegen das geplante Dokumentationszentrum kommen zusammen. Doch die rot-grüne Mehrheit im Rat ist dafür. Allerdings kann ihr die Opposition im Frühjahr 2018 ein Schnippchen schlagen. 

Die Emmerthaler AfD-Fraktion beantragt eine Bürgerbefragung zu dem Projekt – und dank der Ja-Stimmen auch von CDU und Freien Wählern erhält der Antrag eine Mehrheit. Weil jedoch die Kommunalaufsicht die Rechtmäßigkeit der Befragung erst prüfen mußte, fand die bis heute noch nicht statt. In Kürze könnten die Bürger aber an die Urnen, heißt es nun. Die fehlende Einbindung in den Entscheidungsprozeß ist es, was die Bewohner erzürnt. In diese Lücke stieß die AfD, die im Juli gleich mit drei Landtagsabgeordneten zum Bürgerdialog kam. Auch der Historiker Gelderblom konnte dort seine Argumente zur Bedeutung des Ortes vorbringen.Einer der Kritiker des Projekts ist der Landtagsabgeordnete Christopher Emden (AfD): „Man kann diese Erntedankfeiern nicht auf eine Stufe mit den Parteitagen der NSDAP stellen“, betont er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Die Aufmärsche in Nürnberg seien fest im historischen Gedächtnis verankert, die am Bückeberg dagegen seien den meisten Leuten kein Begriff. Emden, im Zivilberuf Richter, gibt zu bedenken, daß einen der Bückeberg für sich genommen doch eher kaltlasse. Das sei der Hauptunterschied zu authentischen Gedenkstätten wie zum Beispiel früheren Konzentrations- oder Vernichtungslagern. 

In der Debatte im Landtag argumentierte der Politiker ähnlich. „Ich weiß noch wie heute, wie ich als Schüler im Alter von 16 Jahren das erste Mal in einem ehemaligen KZ war und es besichtigt habe. Das läßt einen eigentlich nicht mehr los, wenn man sich das einmal genauer angeguckt hat“, sagte Emden in seiner Rede. Er plädierte für mehr Augenmaß und die demokratische Einbeziehung der betroffenen Bürger. „Wer Erinnerungskultur mit dem Vorschlaghammer betreibt, der schädigt deren Ansehen insgesamt.“

 Den Gegnern des geplanten Doku-Zentrums geht es nicht um das Verdrängen unliebsamer historischer Erinnerungen. Ihr Alternativvorschlag: Hinweistafeln vor Ort und eine Ausstellung über die „Reichserntedankfeiern“ im Museum für Landtechnik und Landarbeit im benachbarten Ort Börry. Mißtrauisch macht so manchen, daß in dem Moment, wo sich der Unmut vor Ort regte, der Bund 725.000 Euro zusagte. Und das, obwohl die Kosten ursprünglich mit 450.000 Euro angegeben wurden. 

Und welch geringe Bedeutung die Entscheidungsträger der – formal nicht bindenden – Bürgerbefragung beimessen, läßt sich schon daran erkennen, daß sie weitere Fakten schaffen. Schon im August suchte der Landkreis auf seiner Internetseite „eine/-n Geschäftsführer/-in für die zu gründende Dokumentations- und Lernort Bückeberg gGmbH“, dotiert mit 80.000 Euro.